Am ersten Donnerstag im September gab es wieder eine Diskussions-Runde zu einem brandaktuellen Thema. Mit kritischen Meldungen aus den USA, Polen, Brasilien und vielen weiteren Ländern wird bewusst, dass die Demokratie, wie wir sie in Deutschland kennen, nicht für alle selbstverständlich ist. Aber wie sieht es denn bei uns wirklich aus?
Eindrücke aus dem Diskussions-RAUM: Stirbt unsere Demokratie oder ist sie stärker denn je?
Rund zehn Teilnehmende aus unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Hintergründen haben sich über Zoom zu unserem Demokratie-Verständnis und den aktuellen Entwicklungen in Europa und weltweit ausgetauscht. Die erste Frage, die dabei aufkam, war der Demokratie-Begriff selbst.
Was bedeutet Demokratie eigentlich?
Die Grundprinzipien der Demokratie als Herrschaftsform auf Zeit sind in Deutschland in der freiheitlich demokratischen Grundordnung definiert.
Dazu gehören auch:
- Gewaltenteilung
- Pressefreiheit
- Meinungsfreiheit
- Unabhängige Gerichte
- Usw.
Systeme, die diesen Grundprinzipien folgen, sind also gut. Oder vielleicht doch nicht? Seit Jahren lässt sich im politischen Engagement-Bereich beobachten, dass gerade jüngere Menschen weniger Interesse haben, klassische Politik zu machen. In Parteien eintreten und als Stadtverordnete, Land- oder Bundestagsabgeordnete Veränderungen herbeizuführen, scheint nicht sonderlich attraktiv zu sein. Woran liegt das?
Mehr Menschen für Politik begeistern
Der große Zulauf von NGOs (Nichtregierungs-Organisationen), wie z.B. Fridays for Future, oder Demonstrationen, wie die Black lives matter Bewegung, zeigen, dass großes Interesse besteht mitzureden und mitzugestalten. Aber eben nicht in der Politik. Was bedeutet das also für unsere Demokratie? Brauchen wir vielleicht ein anderes System, dass auch jüngere Menschen besser abholt?
Angebote für Jugendliche in der Parteidemokratie sind scheinbar sehr unattraktiv. Ihre Probleme werden nicht angesprochen und es benötigt einen langen Atem, um tatsächlich Ergebnisse durchzusetzen. Aktivismus über Social Media oder NGOs bieten daher neue Kanäle für ein politisches Engagement, die auch eine sofortige Sichtbarkeit ermöglichen.
Die Demokratie als System genießt in Deutschland aber noch immer großen Zuspruch, macht jemand aus der Runde deutlich. Trotzdem scheint es eine Politikverdrosseneheit zu geben, die sich auch in politischen Wahlen zeigt. Wie lässt sich dieses Image verbessern?
Auf die veränderte Gesellschaft reagieren
Nicht nur die Politik, sondern auch Vereine, Gewerkschaften und andere haben Schwierigkeiten, neue Mitglieder zu bekommen und die bestehenden dauerhaft zu halten. Das könnte damit zusammenhängen, dass sich unsere Gesellschaft immer schneller verändert. Eine dauerhafte Verbindlichkeit passt bei vielen nicht mehr in das Lebenskonzept. Wir brauchen also andere Angebote und andere Formate für politische Teilhabe, die diese Flexibilität auch ermöglicht.
Menschen, die sich politisch und sozial engagieren wollen, haben meist unterschiedliche Zeitkontingente zur Verfügung. Es gibt durchaus diejenigen, die langfristig ein zeitintensives Thema fokussieren wollen, aber auch diejenigen, die ein Projekt hauptsächlich bei Demonstrationen unterstützen wollen, die nach zwei Stunden wieder vorbei sind. Wichtig ist, dass beides als Option verstanden und akzeptiert wird.
Die Angebote für politische Teilhabe sind aktuell noch sehr eingeschränkt. Es gibt in der Kommunalpolitik beispielsweise viele Termine am Vormittag oder am späten Abend. Wem wird es hier ermöglicht tatsächlich teilzunehmen und dadurch wirklich Themen einzubringen? Einer alleinerziehenden Mutter, die von 17 bis 21 Uhr keine Kinderbetreuung mehr bekommt, gewiss nicht. Auch hier bräuchte es flexiblere Strukturen und ein inklusiv gedachtes System, um eine politische Vielfalt zu gewährleisten. Sonst driften wir in eine Elite-Politik, wo nur wenige, die es sich finanziell noch leisten können, in die Politik gehen werden.
Die Hürde, sich politisch zu engagieren, wird tendenziell höher. Daher sollten wir bewusst entgegensteuern. Durch technische Innovationen und den erleichterten Austausch über Internet und Social Media, ist es heutzutage einfacher denn je, etwas zu verändern.
Welche Möglichkeiten gibt es noch?
Lobbyismus ist nicht nur seit den Skandalen um Wirecard oder Philipp Amthor ein negativ besetztes Thema in Deutschland. Dabei ist die Idee, dass Interessensvertretungen bei Politikern bestimmte Themen vorbringen können, durchaus praktisch.
Auch NGOs sind Lobbyisten. Sie selbst sind nicht demokratisch legitimiert. Sie haben ihr Hauptthema und können ihr Interesse in der Politik vorbringen, damit bestimmte Ziele erreicht werden können. Abgeordnete können sich meist nicht auf einzelne Themen konzentrieren – NGOs schon. Problematisch wird es, wenn nur einflussreiche Großunternehmen politische Entscheidungen beeinflussen. Daher wäre ein transparentes und auf Chancengleichheit basiertes System wünschenswert.
Ist unsere Demokratie in Gefahr?
Demokratien funktionieren nicht immer und sind bei weitem nicht perfekt. Auch bei uns in Deutschland sind Themen, wie Repräsentation (Bsp. Frauenanteil ) oder politische Teilhabe noch verbesserungsfähig.
In ganz Europa sind in den letzten Jahren rechtspopulistische Parteien lauter geworden, die sich antidemokratisch äußern und teilweise auch handeln. Und diese Parteien werden gewählt. Wie gehen wir als Gesellschaft damit um? Eine Demokratie ist nur so lange stabil, wie die Parteien und Regierungen, die in ihr agieren, sich an ihre Spielregeln halten.
Als Beispiel wird in der Runde die Türkei genannt. Die Türkei war ursprünglich demokratisch. Erdogan wurde demokratisch gewählt und heute werden Menschen, die sich regierungskritisch äußern, verfolgt, verhaftet und Gewalt ausgesetzt.
Wenn wir an unsere deutsche Geschichte zurückdenken, dann wird sehr deutlich, dass demokratische Strukturen genutzt werden können, um diese auszuhöhlen und zu stürzen.
Wie können wir das verhindern? Zu den Vorschlägen aus der Runde gehört die bessere politische Bildung durch alle Gesellschaftsschichten hindurch. Mehr Transparenz und mehr Möglichkeiten für politische Teilhabe.
„Ohne Demokratie können wir nicht leben.“
Viele, die unser demokratisches System kritisieren, vergessen, dass wir hier frei unsere Kritik und Gedanken äußern können. Stimmen, die beispielsweise unsere aktuelle Situation als Coronoa-Diktatur inszenieren, schaffen ein falsches Bild, das aber viele beeinflusst (Anti-Corona-Demos). Ein größerer Austausch und mehr Transparenz, könnte dem entgegenwirken.
„Politische Bildung ist ungemein wichtig und sollte allen zugänglich sein – niedrigschwellig und jenseits der Schulbildung.“
Wir müssen unsere Demokratie immer verteidigen – sie ist nicht selbstverständlich. Zu ihr gehört harte Arbeit, die aber notwendig ist. Die Runde war aber sehr zuversichtlich, dass unsere Demokratie stark genug ist und wir durch unser Engagement viel bewirken können.
Wie sähe eine andere Form der Politik aus?
Wir fragen die Diskutierenden, was ihnen für eine verbesserte und inklusivere Politik wichtig wäre. Hier ist eine Auswahl der genannten Vorschläge:
- Mehr Inhaltlicher Diskurs, weniger Repräsentations-Rollen.
- Nıcht nur Bıldung, sondern auch Moral sollte eine Rolle spielen.
- Wir brauchen neue Modelle, wie Politiker:innen sich zeigen können (Abseits von Karnevalsvereinen).
- Die Entscheidungs-„Tische“ in der Politik sollten vielfältiger sein.
- Mehr Bürgerforen und Volksentscheide
- Weniger Einzelkämpfer:innen – mehr Teams
- Mehr parteiübergreifend er Austausch – unabhängig von Sitzungen. Konstruktive Gespräche auf Augenhöhe
Unsere Diskussion wurde gerade für den letzten Punkt als gutes Beispiel genannt. Der Rahmen hat es unterschiedlichen Parteipolitiker:innen ermöglicht, einen echten Austausch zu haben. Es ging immer nur um das Thema und die gemeinsamen Ziele.
Zum Abschluss ein Zitat aus dem Buch: „Wie Demokratien sterben“
“Letztlich sind also wir, die Bürger, verantwortlich für die Demokratie. Kein politischer Führer kann die Demokratie allein aushebeln, aber auch keiner kann sie allein retten. Die Demokratie ist ein Gemeinschaftsunternehmen. Ihr Schicksal hängt von uns allen ab….Frühere Generationen von Europäern und Amerikanern haben enorme Opfer gebracht, um unsere demokratischen Institutionen gegen äußere Bedrohungen zu verteidigen. Unsere Generation, die in einer Zeit aufgewachsen ist, in der die Demokratie für selbstverständlich gehalten wurde, steht jetzt vor einer anderen Aufgabe: Wir müssen verhindern, dass sie von innen her zerstört wird.”