Es ist Sommer, 2018 und an diesem Tag zum Glück nicht so heiß, wie sonst. Im Café der Südlichter trifft unser Engagierter Daniel bei „Menschen in Hanau – Hautnah“ Renate Bach, die etwas über ihren Weg zu einem Cochlea Implantat (kurz: CI) erzählen möchte. Jeweils ein Glas Wasser erfrischt beide während des Interviews.
Liebe Renate, zunächst einmal vielen Dank, dass du dir die Zeit für uns nimmst und uns deine Geschichte erzählen möchtest. Bitte lasse uns doch zu Beginn etwas zu deiner Person wissen.
Sehr gerne. Mein Name ist Renate Bach, ich bin vor fast 65 Jahren in Frankfurt geboren, lebe mittlerweile seit mehr als 30 Jahren in Hanau. Ich war 25 Jahre im öffentlichen Dienst als Verwaltungsangestellte tätig und bin seit Oktober 2016 in Rente. Vor gut 6 Jahren wurde ich beidseitig mit Cochlea Implantaten versehen. Seit 2012 bin ich stellvertretende Leiterin der CI-Selbsthilfegruppe Frankfurt (Selbsthilfegruppe zum Cochlea Implantat, alle Termine hier: https://www.civhrm.de/veranstaltungen/alle-shg-treffen) und im April 2018 übernahm ich zusätzlich die Leitung des CI-Cafés in Friedberg.
Du bist also erst vor sechs Jahren an beiden Ohren implantiert worden?
Das ist richtig. Ich wurde normal hörend geboren und habe den Großteil meines Lebens hörend verbracht. Nachdem eine Kollegin 2008 in Rente ging, habe ich einen Teil ihrer Aufgaben zusätzlich übernommen. Das sorgte natürlich für mehr Stress im Arbeitsleben. Ab diesem Zeitpunkt erlitt ich mehrere Hörstürze. Hinzu kam, dass ich häufig Mittelohr- und Gehörgangsentzündungen hatte. Mein Gehör wurde immer schlechter.
Einige Zeit bin ich mit Hörgeräten ausgekommen. Bis zum 28.08.2010: an diesem Morgen erwachte ich und in meinem Kopf rauschte es nur, so als stünde ich unter einem Wasserfall. Mir war übel und schwindelig. Jedoch das Schlimmste war, dass ich danach auf beiden Ohren nichts mehr hörte.
Du warst also mit 57 Jahren von heute auf morgen taub?
Ja, an dem Morgen klang alles irgendwie dumpf, wie durch Watte. Monatelang hat mein HNO-Arzt (HNO = Hals/Nasen/Ohren) versucht mit Medikamenten (Tabletten und Infusionen) eine Besserung herbeizuführen. Das hat alles nicht geklappt. Ärgerlich daran ist auch, dass man diese Behandlungen und Medikamente selbst zahlen muss.
Im März 2011 bekam ich auf eigenen Wunsch die Überweisung an die HNO-Poliklinik in Frankfurt am Main (Universitätsklinik). Dann folgte mit der Diagnose aber auch der Schock: „An Taubheit grenzende Schwerhörigkeit“. In der Klinik wurde mir von der Ärztin als einzige Option das Cochlea Implantat empfohlen.
Kanntest du diese Möglichkeit eines Cochlea Implantats schon vorher?
Ich hatte schon mal davon gehört, aber natürlich beschäftigt man sich nicht mit allen technischen Lösungen in weiser Vorausschau. Durch das Krankenhaus habe ich eine Einladung zu einem HÖRtag erhalten. Dieser findet jährlich in der Uniklinik Frankfurt statt. Hier konnte ich mich mit Gleichgesinnten unterhalten und austauschen. Nach dieser Info-Veranstaltung habe ich mich sofort zur Implantation entschlossen. Zu verlieren hatte ich nichts, im Gegenteil, ich konnte nur gewinnen.
Hattest du bedenken bezüglich der Operation oder auch darüber nachgedacht zum Beispiel Gebärdensprache zu lernen?
Ich musste nicht lange überlegen, ob ich mich operieren lassen wollte. Ok, Angst vor der OP hatte ich schon, doch ich hatte nichts zu verlieren. Gebärdensprache kann ich nicht und wollte sie auch nicht erlernen. Das Problem ist, wenn man das ganze Leben hörend war und auch das direkte Umfeld, Kinder, Freunde sowie Kollegen und Kolleginnen normalhörend sind, ist die Gebärdensprache nicht gerade nützlich. Hier müssten sich alle anpassen und umlernen. Das habe ich als nicht zielführend erachtet. Während der Zeit meiner Taubheit haben wir uns des Smartphones bedient beziehungsweise mit Block und Stift bewaffnet.
Dann ging das mit der Implantation relativ schnell?
Nur drei Monate nach der Diagnosestellung hatte ich meinen ersten OP-Termin. Sechs Wochen danach kam es dann zur notwendigen Anpassung des Sprachprozessors. Diese führte dazu, dass ich lauter Micky Maus Stimmen in meinem Ohr vernahm. Das war fürchterlich, aber ich konnte zumindest wieder etwas hören. Das Hören muss nach so einem Eingriff wieder neu erlernt werden. Dazu war eine Rehabilitations-Maßnahme notwendig. Das Gehirn muss lernen, mit der neuen Hörsituation umzugehen, doch mit der Zeit und intensivem Hörtraining wird die Unterscheidung der Stimmhöhen und -tiefen deutlich besser. Ein Jahr später erfolgte die zweite OP und nochmals eine stationäre Reha.
Wie kann man sich das Erlernen des Hörens nach so einem Eingriff vorstellen?
Zunächst einmal muss sich das Gehirn an das neue Hören gewöhnen und die anfängliche Micky Maus Stimme ist natürlich sehr ungewohnt. Voraussetzung ist ein regelmäßiges Hörtraining. Dieses hilft, den Hörnerv wieder an seine Aktivität zu gewöhnen. Lange Zeit hatte der Hörnerv nichts zu tun und das Gehirn vergisst schnell. Das Hörtraining kann sowohl stationär, ambulant als auch am Computer zu Hause durchgeführt werden. Beide Reha-Maßnahmen habe ich stationär in Bad Nauheim wahrgenommen. Hier trifft man Gleichgesinnte – wenn auch oft mit anderer Vorgeschichte.
Verändert sich durch das CI die Interaktion beziehungsweise Kommunikation mit anderen?
Auf jeden Fall. Man hält meist Blickkontakt mit den Gesprächspartnern. Gestik und Mimik wird mehr beachtet. Zwar übt man in der Reha ohne direkten Blickkontakt zu verstehen, allerdings geht das nur in ruhigen Situationen. Sprechen viele Menschen auf einmal und ich schaue nicht zu meinem Gesprächspartner, kann ich die Umgebungsgeräusche nicht mehr differenzieren und mein Gegenüber nicht mehr verstehen. Alles kommt gleichlaut an, die vielen Stimmen und Geräusche vermischen sich.
Wir haben das Interview bei unserem Angebot „Menschen in Hanau – Hautnah“ im Café der Südlichter durchgeführt. Es war ein angenehm warmer Sommertag und daher konnten wir auch einige Gäste verzeichnen. Die Geräuschkulisse in dem kleinen Café war daher für Renate schon unangenehm laut. Sie sagt aber selbst, dass man sich daran gewöhnt.
Was sind darüber hinaus Situationen oder Momente im Leben, in denen es Schwierigkeiten oder Probleme gibt?
Ein Problem tritt zum Beispiel an Bahnhöfen auf. Hier kommen die Ansagen oft zu Zeiten, wenn gerade am Nachbargleis ein Zug durchrauscht. Daniel: Damit haben auch Hörende so manches Mal ihre Probleme. – Beide lachen. – Falls ich etwas nicht verstanden habe, frage ich regelmäßig Personen in der Nähe, und bitte sie, mir die Durchsage zu wiederholen. Es wäre hilfreich, an den Bahnhöfen mit mehr Anzeigen zu arbeiten oder zum Beispiel Informationsschalter bzw. spezielle Anlaufpunkte mit Induktionsanlagen auszustatten. Über diese Anlagen kann der Sprachprozessor die Ansagen direkt empfangen, Gegengeräusche werden ausgeblendet, Voraussetzung ist allerdings die Umstellung auf die T-Spule.
Generell ist zu sagen: an öffentlichen Plätzen oder dort, wo es wichtig ist auf Durchsagen zu achten, könnten Induktionsschleifen helfen. Generell hilft auch langsames, nicht lautes und deutliches Sprechen.
Zur Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben wäre es darüber hinaus auch schön, zum Beispiel Theater oder Kirchen mit funktionsfähigen Induktionsschleifen auszustatten. Somit können CI Träger*innen dann auch an diesen Veranstaltungen teilhaben. Eine ausgewiesene Fläche reicht hierfür ja vollkommen.
Die Oper Frankfurt verfügt zum Beispiel schon über eine festinstallierte Induktionsschleife Hörgeräte-, und CI Träger*innen. Informationen aus der Presse gibt es hier (https://www.schwerhoerigen-netz.de/informationen/politikrecht/presse/details/news/neue-induktive-hoeranlage-in-oper-und-schauspiel-frankfurt/).
Am Flughafen Frankfurt gibt es zwei Infoschalter, die mit einer Induktionsanlage ausgestattet sind (Infos zum barrierefreien Reisen: https://www.fracareservices.com/). Auch am Hauptbahnhof Frankfurt ist ein entsprechender Infoschalter vorhanden. Oft sind diese Anlagen leider ausgeschaltet, nicht funktionsfähig oder der Bedienstete weiß nicht, damit umzugehen.
Was für Herausforderungen gibt es im alltäglichen Leben, im eigenen Haushalt?
Wenn ich abends ins Bett gehe, lege ich die Sprachprozessoren ab. Nachts kann daher der größte Sturm wüten, ich höre nichts. Ich habe zum Beispiel ein visuelles Signal am Telefon und der Klingel, so dass ich auch nachts wach werde, wenn jemand etwas möchte.
Auch die Rauchmelder in meiner Wohnung sind entsprechend ausgestattet. Einen aktivierten Rauchmelder in der Nachbarschaft bekomme ich allerdings nicht mit. Hier bedarf es engagierter und sozialer Nachbarn, die bei mir klingeln oder anrufen, damit ich bei Gefahr gewarnt werde. Es war erst vor kurzem, wurde ich von Nachbarn angesprochen, ob ich die Feuerwehr mitbekommen hätte. Da ich zu dem Zeitpunkt meine Sprachprozessoren noch nicht angelegt hatte, habe ich davon nichts gemerkt.
Im Schwimmbad gehe ich ebenfalls ohne Sprachprozessoren schwimmen. Das heißt im Wasser höre ich ebenfalls nichts und weise meine Begleitung an, mir zu signalisieren, wenn irgendwas ist. Es wird vielmehr auf die Umwelt geachtet. Stürmen alle aus dem Schwimmbecken, dann stürme ich mit. Es gibt zwar Hüllen, die einen Wasserschutz bieten, aber das ist sehr aufwendig.
In dem Zeitraum, als ich gehörlos war, hat man oft an der Reaktion der Menschen gemerkt, wie diese über einen denken. Sie sind genervt und verfrachten in die Schublade „dumm“. Sie erkennen natürlich nicht, dass man gehörlos ist, reagieren teilweise mit Unverständnis, wenn ich nicht sofort antworte. Hier ist ein gegenseitiges Verständnis, eine Akzeptanz zwischen allen Menschen wünschenswert.
Was würdest du dir allgemein wünschen im Umgang mit gehörlosen Menschen oder CI Träger*innen?
Meine Erfahrungen waren nicht die besten und der Weg zum Abhilfe-schaffenden CI war lang. Ich würde mir wünschen, dass die HNO-Ärzte besser in Richtung des Cochlea Implantats beraten und nicht nur an Akustiker verweisen – deren Aufklärung über CI auch oft mangelhaft ist. Sinnlose Behandlungen könnten so den an Taubheit grenzenden Schwerhörigen beziehungsweise Gehörlosen erspart werden. Viele wissen nicht, dass durch ein Cochlea Implantat oft Abhilfe geschaffen werden kann. Die Betroffenen selbst möchten sich aber auch nicht unbedingt „markieren“ und damit erkenntlich zeigen. Es bedarf einfach einer umfassenden Sensibilisierung für die Themen der Schwerhörigen, Gehörlosen und CI Träger*innen.
Wir danken Renate für das tolle Interview und die vielen Eindrücke, die sie vermittelt hat. Wir wünschen für die weiteren Aktivitäten in Richtung einer umfangreichen Sensibilisierung zu den Möglichkeiten des Cochlea Implantats viel Erfolg und unterstützen gerne!
Gut zu wissen, dass es heutzutage solche Hörgeräte gibt, die den Menschen hören helfen. Ein Nachbarin von mir ist auch schwerhörig. Werde diesen Artikel an ihren Sohn weiterleiten. Diese Infos mögen ihm interessant sein.
Sehr informativ und viele Details. Seit ich sichtbar ein CI trage, erfahre ich oft auch Hilfe. Schade ist, dass immer noch Personen denken: Schwerhörig gleich dumm. Schwerhörige brauchen auch nur 50 Plätze im Telefonbuch des Telefons.?!? Was denken sich die Ingenieure?
Ein sehr interessanter Bericht der ohne Übertreibungen aufzeigt welch eine großatige Hilfe ein CI ist.