Geschrieben von Dr. Karl-Heinz Leister
Die Diskussionsrunde „Digitale Ethik“ wurde moderiert von Cettina Colantoni. 10 Teilnehmende hatten sich für dieses Thema interessiert. In unserer Zeit, verstärkt durch die Corona-Pandemie, ist digitale Kommunikation allgegenwärtig. Das zeigt sich auch in unserer Veranstaltung.
Worum geht es?
Digitale Kommunikation ist neu in dem seit Jahrmillionen eingeübten Umgang von Menschen miteinander und doch schon selbstverständlich vor allem für jüngere Menschen.
Die Generation der jetzigen Urgroßeltern tut sich sehr schwer damit, die Großelterngeneration ist mit digitalen Möglichkeiten aufgewachsen, haben sie vielleicht hier und da genutzt, vielleicht sogar noch als Spielerei abgetan. Die Elterngeneration wuchs mit digitalen Techniken (PC, Laptop, Handy, Spiele, Technik) auf und die Kinder von heute bekommen sie mit in die Wiege (gibt’s auch nicht mehr – besser: in den Buggy) gelegt.
Während sich für die herkömmliche Kommunikation über lange Zeiträume Regeln entwickelt haben, gibt es solche Regeln für die digitale Kommunikation nur rudimentär (nur in kleinen Ansätzen und oft lückenhaft). Schon gar nicht als allgemein anerkannt oder gar gesetzlich festgelegt. Wir leben sozusagen digital im wilden Westen.
Was ist Digitale Ethik?
Und doch gibt es Ansätze, so etwas wie eine digitale Ethik zu formulieren. Das Institut für Digitale Ethik in Stuttgart hat z.B. diese 10 Gebote als Vorschlag.
Durch die Möglichkeit, anonym kommunizieren zu können, verändern sich die Grenzen zwischen „normaler“ Kommunikation und ungebührlichem (beleidigendem, frechen) Verhalten. Es wird nicht mit offenem Visier „gekämpft“, sondern im Verborgenen.
„Die digitale Ethik beschäftigt sich mit moralischen Fragen des digitalen Wandels. Sie fragt nach sittlichen Grenzen, die der Digitalisierung und den Umgang mit Big Data gesetzt werden. Das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine sollte in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht nur das technologisch Machbare, sondern durch das moralisch Wünschenswerte bestimmt werden.“
In unserer Diskussion betrachten wir jedoch mehr den Umgang der Teilnehmer einer digitalen Kommunikation miteinander, als die Schnittstelle Mensch-Maschine. Unser Fokus liegt auf dem Phänomen der sogenannten Hate Speech (Hate Speech ist gewalttätige Sprache). Sie kann Angriffe, Beschimpfungen und Hass enthalten – oder ganz subtile Abwertungen. In jedem Fall werden durch Hate Speech Einzelpersonen oder Gruppen von Menschen beleidigt oder verleumdet – es handelt sich um gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, also unter anderem Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Sexismus oder Homo- und Transfeindlichkeit. Hate Speech liegt auch vor, wenn Menschen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit die Gleichwertigkeit oder die gleichen Rechte abgesprochen werden – schlimmstenfalls das Recht, zu leben (oder immer öfter: in Deutschland zu leben).
Unsere Erfahrungen
Viele von uns haben zumindest verletzende und freche Kommentare zu Beiträgen von Freunden, Journalisten oder Politikern gelesen oder zumindest davon gehört. Gerade gehen Meldungen solcher Hassnachrichten durch die Presse, die gegen den Hanauer Oberbürgermeister gerichtet sind. Andere haben vielleicht schon persönlich beleidigende oder anzügliche Nachrichten erhalten. Dabei erhebt sich die Frage, wie man persönlich mit unangemessenen Nachrichten (Angriffen auf die eigene Person, auf andere bekannte Personen, auf Personengruppen, auf Ethnien) reagiert. Zu bedenken ist auch, dass Informationen über uns selbst von anderen (aus)genutzt werden (können). Deshalb sollte man private Daten so sparsam wie möglich preisgeben. Das kann natürlich letztlich dazu führen, dass jemand unter einem Pseudonym auftritt, was wiederum dazu verleiten mag, selbst beleidigend und ungehemmt zu kommentieren.
Der Teilnehmer Gr. bemerkt: „Es gehört offensichtlich einfach dazu. Wenn man mit einem anderen Namen angelmeldet ist, wird man skrupelloser. Je anonymer man ist, desto skrupelloser sind manche.“
Diese Verhaltensweise bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das reale Leben. Verletzte Gefühle oder Fehlvorstellungen übertragen sich auf das Verhalten von Menschen auch außerhalb der digitalen Kommunikation im täglichen Umgang mit Freunden, Familienmitgliedern, Kollegen. Das macht Stress und resultiert in Überforderungen.
Die Teilnehmerin Gi. bemerkt: „Ich bin in Whatsapp-Gruppen – bei schlüpfrigen Bemerkungen, lösche ich sie.“
Natürlich kann man sich inzwischen gegen persönliche Beleidigungen und Drohungen wehren. Das haben Nutzer und mit ihnen dann auch Regierungen gegenüber den großen Konzernen der sozialen Plattformen (Facebook, Google, …) durchgesetzt. Inzwischen werden falsche Nachrichten gelegentlich als solche gekennzeichnet (z.B. Twitter bei Tweets von US-Präsident Trump) oder gar gelöscht.
Wer ist in der Verantwortung?
Auch sachlich falsche Nachrichten („fake news“) können angezeigt werden, was zu Hinweisen bei diesen Nachrichten oder gar zu deren Löschung führen kann. Dabei sind die Konzerne relativ zaghaft, weil solche Nachrichten gerade Aufmerksamkeit auf sich ziehen, oft aufgerufen werden (viele Klicks haben) und damit den Wert der Unternehmen und deren Attraktion für die Werbewirtschaft steigern.
Andererseits führt diese Einflussnahme durch die Konzerne auch zu einer Art Zensur, weil die völlig freie Meinungsäußerung begrenzt oder gar beschnitten wird. Diese scheinbare Freiheit gehörte lange Zeit zum Geschäftsmodell der Medienkonzerne. Sie beruhte aber darauf, dass es noch keine Regeln oder Gesetze gab. Und auch heute wird von den Medien und von liberalen Kreisen deutlich auf die Gefahr der Zensur hingewiesen, was letztendlich dazu führte, dass selbst der derzeit regierende US-amerikanische Präsident fast alle herkömmlichen Medien als „Fake News“ bezeichnet. Ein besonderes Problem dabei ist, dass oft nicht zwischen der Darstellung von Fakten und dem Äußern von Meinungen unterschieden wird.
Was kann ich tun?
Wie kann man nun als Privatperson gegen sogenannte Hass-Posts aktiv werden?
Eine Möglichkeit besteht darin, positive Kommentare dagegenzusetzen, um den Strom von Hasskommentaren zu unterbrechen. Hier sind einige Beispiele:
Gegenrede
- Menschenfeindlichkeit entschieden widersprechen
- Nicht provozieren lassen
- Auf Sachebene bleiben
- Stillen Mitlesenden zeigen, dass man selbst sachlich und nicht toxisch diskutiert – eventuell animiert sie dies mitzudiskutieren
- Stillen Mitlesenden zeigen, dass Pöbler und Verschwörer nicht die Mehrheitsmeinung darstellen
- Betroffenen zur Seite stehen – Nicht auf Hater:innen fokussieren
- Netiquette einfordern
- Strafrechtlich relevante Äußerungen melden/ zur Anzeige bringen
Es ist überhaupt schwierig, generell geltende Regeln / Gesetze aufzustellen, ohne in die Gefahr zu geraten, eine Zensurbehörde aufzubauen. Im Grundgesetz Artikel 5.1 steht: „Zensur findet nicht statt“. Punkt, einfach, klar. Es gibt auch keine globale Instanz, die so etwas regeln könnte. Und die UN sind derzeit gerade beim Erstarken der Nationalstaaten zu schwach, solche Regeln aufzusetzen oder gar durchzusetzen.
Die Teilnehmerin U. meint „es könnte die Demokratie gefährden, wenn man nur mit den richtigen Namen auftritt.“
Hinzu kommt, dass es regionale, kulturelle Unterschiede gibt, wie man miteinander umgeht. Was in einer Region als normal akzeptiert wird, mag in einer anderen Region schon beleidigend wirken. Die Tatsache der globalen Verbreitung der digitalen Kommunikation verschiebt natürlich damit auch die Grenzen des regional sagbaren.
Vielleich kann man sich merken : „Die Freiheit findet dort ihre Grenzen, wo die Freiheit des Nächsten beginnt.“ (© Horst-Joachim Rahn).
Aus 2020 gelernt? Was setze ich 2021 um?
Letztlich ist jeder Einzelne in seinem Bereich dafür verantwortlich, dass sich Hass und Lügen nicht verbreiten oder nur einfach stehen gelassen werden. Darüber waren sich die Diskutierenden letztlich einig. Hassnachrichten nicht durchgehen lassen und deren Strom durch etwas Positives unterbrechen – das ist sicher anstrengend. Beleidigende Kommentare melden. Gewaltandrohung bei der Staatsanwaltschaft anzeigen. Das können Gegenmaßnahmen sein. Aber vor allem sollten wir selbst zu einer positiven Kommunikation beitragen.
Link-Liste:
https://no-hate-speech.de/de/netzwerk/
https://www.ichbinhier.eu/ichbinhier-e-v
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/gut-dass-ihr-hier-seid-8337/
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/under-pressure-digitale-zivilgesellschaft-unter-druck-47157/
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/starke-tipps-fuer-die-digitale-zivilgesellschaft-55611/
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/hass-im-netz-und-corona-56773/
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/qualifikation-civic-net/
Kampagnen, die ich unterstützen kann:
https://www.facebook.com/groups/718574178311688/about/
https://www.facebook.com/debatedehate
Tipps gegen digitale Gewalt:
https://hateaid.org/category/tipps-fur-betroffene/
https://www.internet-beschwerdestelle.de/de/index.html
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/menschenwuerde-online-verteidigen/
Was mache ich, bei gesetzwidrigen Posts/ wie erkenne ich diese überhaupt:
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/3-strafrechtlich-relevante-aussagen-anzeigen-und-melden/
Wo kann ich mich weiter informieren/ weiterbilden:
https://wirsindantianti.org/materialien/
Buch: Sprache und Sein, Kübra Gümşay
Buch: Gegen den Hass, Carolin Emcke
https://www.grimme-institut.de/
https://www.das-nettz.de/publikationen