post-title MORIA UND DIE EU ASYLPOLITIK – Diskussions-RAUM

MORIA UND DIE EU ASYLPOLITIK – Diskussions-RAUM

MORIA UND DIE EU ASYLPOLITIK – Diskussions-RAUM

Wir sehen ein Strand an dem ein Schlauchboot und Menschen an Rettungswesten angespült wurde.

Haben wir Menschlich versagt?

Im Oktober haben wir in unserer Diskussions-Runde das Thema Moria aufgegriffen. Schon länger wollten wir auf die Situation aufmerksam machen und uns überlegen, welche Optionen es gibt. Was können wir tun? Aus aktuellem Anlass, haben wir uns nun dieser Diskussion gewidmet.

In der Nacht vom 9. September 2020 brennt das Geflüchteten-Lager in Moria auf der griechischen Insel Lesbos vollständig ab. Die unmenschlichen Verhältnisse dort sind schon deutlich länger bekannt.

Und was passiert in der EU? Die Menschen sind sich uneinig und es gibt keine Entscheidungen. Bleibt Moria, wie viele andere Geflüchteten-Lager in Europa ein vergessener Ort?

Wie ist die Lage?

Die Meisten Geflüchteten weltweit sind noch immer Binnengeflüchtete (Statistik). Nur ein Bruchteil verlässt das eigene Land, um beispielsweise in der EU Zuflucht oder eine Chance auf ein besseres Leben zu suchen. Aber was begegnet ihnen hier:

Das Dublin Verfahren, überlastete EU-Außengrenzen, die bereits ihr Limit erreicht haben (Griechenland, Italien, Spanien) und „Grenzsicherung“, scheinbar als oberste Priorität.

Ein Teil eines Schlauchboots ist zu sehen davor orangefarbene Papierschiffe und ein einzelner Schuh.

Ist das noch menschlich?

Die Rechtslage ist eigentlich klar. Wenn Geflüchtete die EU-Grenzen überschreiten, haben sie das Grundrecht Asyl-Anträge zu stellen. Da die Außengrenzen aber stark überlastet und überfordert sind, gibt es Versuche, dies zu verhindern. Schon lange vor der größeren Fluchtbewegung 2015 wurden mit sogenannten Push-Back-Aktionen gewaltsam Boote von Geflüchteten von den Grenzen ferngehalten. Dies geschieht, indem Schlauchboote zurückgeschoben, Motoren zerstört und Boote zum Kentern gebracht werden. Verletzte und Tote nimmt man in Kauf. Hauptsache die Grenze ist sicher?

Wenn man als NGO (Nicht-Regierungs-Organisation) dann diese mehrfach traumatisierten Menschen rettet, wird man am Anlegen gehindert und strafrechtlich verfolgt. Das ist nicht nur unmenschlich, sondern auch unwürdig. Und trotzdem erhält FRONTEX, die Europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache ein enormes Budget, um ihrer Aufgabe nachzukommen.

In der Runde teilen wir den Eindruck, als sollen Lager wie Moria vor allem eines tun: abschrecken. Es gibt Menschen, die über 14 Monate in diesen Lagern verbringen müssen, die maßlos überfüllt sind.

Die Verfahren gehen schleppend voran und sind, vor allem, aber nicht nur an den EU-Außengrenzen in einigen Fällen sehr fragwürdig. Es gibt Berichte von schlechten Übersetzer:innen, mangelnde rechtliche Betreuung und Willkür. Das Verfahren scheint also in vielen Fällen nicht fair zu sein. Zudem gibt es zu wenig Personal und so gut wie keine Kontrollinstanzen, was sehr problematisch ist. Einige kommen wohl aufs Festland, wenn ihr Asyl-Antrag angenommen wurde, aber es ist zu wenig und geht zu langsam voran. Offenbar besteht kein großes Interesse, dass Anträge schnell bearbeitet werden. Ist das gewollt, fragen wir uns?

Was viel schwerer wiegt, sind die Missachtung von Menschenrechten. Es leben ca. 39.000 Menschen auf drei Inseln verteilt. Allein Camp Moria, das für knapp 2.500 Menschen ausgelegt war, beherbergte fast 15.000 Menschen, die jetzt durch das Feuer ihre Zelte, Kleidung etc. verloren haben. Trotz der Gelder, die die griechische Regierung erhält, gibt es Berichte von Vernachlässigung oder verdorbenen Lebensmitteln. Die Menschen werden zermürbt und so soll es auch sein.

Wer profitiert eigentlich davon?

Im Buch von Jean Ziegler – Die Schande Europas, wird drastisch geschildert, dass es tatsächlich einige Gewinner aus diesem Leid gibt. Die Menschen im EU-Innenland haben ihre Ruhe, das Leid der Menschen kann von der Politik zur Abschreckung genutzt werden, man kann Angst schüren etc. Aber ein bestimmter Zweig ist bei Wenigen auf dem Radar. Die Waffen-Industrie.  

Die Diskussions-Runde ist erst nicht überzeugt, aber die Zahlen sprechen für sich. Es wird, wie oben beschrieben, viel Geld in die EU-Aufrüstung investiert. Der Etat soll bis 2025 auf 34,9 Mio EUR erhöht werden. Die europäische Rüstungsindustrie verdient dadurch mehr an der Grenzsicherung als an vergangenen Kriegssituationen, wie z. B. in Syrien.

Aus der Runde wird argumentiert, dass wir dem entgegenwirken könnten, wenn es eine echte, geregelte Einwanderung gäbe, die besser organisiert wird.

Im Vordergrund ist ein orangefarbenes Papierschiff, im Hintergrund sind Umrisse eines Schlauchboots erkennbar.

Es sind nicht nur die Flüchtlinge, auch die Bevölkerung, z. B. der Insel Lesbos, leidet unter der Situation. Der erhöhte Druck macht es unmöglich, dass Menschen nebeneinander leben können. Je länger die Situation anhält, desto mehr geht das Verständnis verloren und das Verhältnis wird strapaziert. Dabei hatten die Griechen auf Lesbos viel Empathie, da viele selbst Anfang des 20. Jahrhunderts aus der Türkei kamen.

Alles nur Ausreden?

Wenn wir Debatten in Politik und im eigenen Umfeld verfolgen, haben alle aus der Runde ähnliche Argumente schon gehört, warum Menschen dagegen sind, dass weitere Geflüchtete in Europa aufgenommen werden: wir können doch nicht alle aufnehmen, man solle die Herkunftsländer lieber finanziell unterstützen, die Fluchtursachen bekämpfen etc. Aber ist das realistisch? Könnten wir wirklich gewährleisten, dass eine finanzielle Unterstützung dort ankommt, wo sie gebraucht wird? Die Geschichte hat gezeigt – nein.

Es ist aber immer wieder erstaunlich, wie sich Menschen versuchen aus der Verantwortung zu ziehen. Insbesondere wir Europäer:innen. Uns fehlt nicht nur die Empathie für das Leid dieser Menschen auf der Flucht, sondern auch das Bewusstsein, dass unser Wohlstand und unsere Bequemlichkeit oft durch genau dieses Leid erkauft wurde. Seit der Kolonialzeit nutzen Länder und Staaten Ressourcen und Menschen, um sich selbst zu bereichern. Das hat Auswirkungen bis in unsere Zeit. Viele Großunternehmen nehmen einheimischen das Land weg, pumpen ihnen Wasser-Ressourcen ab und rauben dadurch Kleinbauern in ihren eigenen Ländern die Lebensgrundlage.

Für diese Missstände sind wir also direkt mitverantwortlich, da wir durch unseren Konsum und unser Verhalten diese unterstützen bzw. in Kauf nehmen. Wir denken nicht darüber nach, warum wir uns T-Shirts für 3,00 € kaufen können. Wir denken auch nicht darüber nach, dass die Art, wie Großmächte wirtschaften, der Umwelt schadet und die Auswirkungen meist in genau den Ländern zuerst auftreten, die am wenigsten dazu beitragen. Nicht umsonst sind 2/3 der aktuellen Menschen auf der Flucht Klimageflüchtete.

Völkerwanderungen gab es schon immer und brauchen wir auch heute

In der Diskussions-Runde wurde auch das Thema Zuwanderung zum Ausgleich des Fachkräftemangels angesprochen. Auch das sollte mitgedacht werden. Natürlich sollten Geflüchtete zuerst die Chance bekommen ihre Traumata aufzuarbeiten. Langfristig betrachtet brauchen wir aber genau diese Menschen, um unsere Gesellschaft am Laufen zu halten. Fehlt uns dafür die Weitsicht oder sprechen wir diesen Menschen aus purem Trotz die Fähigkeit ab, diese Lücke zu füllen?

In Deutschland wurde das Problem bereits erkannt. In vielen Berufszweigen wird in 10-20 Jahren der Nachwuchs komplett wegbleiben und die Politik wirbt auch bereits gezielt nach Fachleuten an den EU-Außengrenzen (Fachkräfte-Zuwanderungs-Gesetz). Doch die Flucht-Debatte wird dominiert von Angst und einer propagierten Gefahr für die westliche Wohlstands-Gesellschaft. Selten wird das Wort “Flüchtlinge” nicht ohne scheinbar steigende Kriminalität oder schwindende Sicherheit genannt. Auch die Angst vor politischen Verlusten spielt dabei eine Rolle, wird in der Diskussions-Runde angemerkt.

Wann haben wir verlernt menschlich zu sein?

Während die EU darüber diskutiert, ob sie 50 oder 400 der 15.000 Menschen aus Lesbos in andere EU-Länder verteilen sollten, wird ein wichtiger Grundsatz unserer Gesellschaft scheinbar vergessen. Jeder Mensch hat das Grundrecht auf Sicherheit und Asyl. Da sollte es auch nicht wie im letzten Absatz unseres Artikels darum gehen, ob diese Menschen langfristig einen Nutzen für die EU haben, sondern darum, diese Menschen zu schützen – vor Verfolgung und Krieg. Hunger ist laut aktueller Rechtslage übrigens kein anerkannter Grund für Asyl.

An einer weißen Wand klebt ein Aufkleber mit dem Text: Kein Mensch ist illegal

Und obwohl kein Land verpflichtet ist, Menschen bei sich aufzunehmen, kann es niemals Rechtens sein, Menschen, wie in Moria, so unwürdig zu behandeln. Wo eine schnelle Abschiebung höhere Aufmerksamkeit und Priorität erhält, als das Wohl von Menschenleben, sollten wir intensiv über unsere Einstellung nachdenken. Aus der Diskussions-Runde gibt es daher einen Favoriten für das Unwort des Jahres 2020: Abschiebe-Patenschaften.

Eine weitere Problematik ist, dass gerade Deutschland sich scheut als Vorreiter voran zu gehen. Man pocht auf eine europäische Lösung, obwohl man genau weiß, dass Länder wie Polen oder Ungarn sich weigern werden da mitzumachen.

Kann man diesen Ländern nicht einfach Gelder entziehen, wird in der Runder gefragt. Und so einfach scheint das wohl nicht zu sein. Wieder spielt Angst eine wichtige Rolle. Wenn man Länder an den EU-Außengrenzen sanktioniert, lassen diese Länder vielleicht Geflüchtete direkt nach Deutschland durchmarschieren. Das ist natürlich nicht gewollt. Und dass diese Art der Erpressung funktioniert, hat die Türkei ja bereits gezeigt.

Lösungs-Ideen

Unsere Diskussions-Runden haben die Angewohnheit, für solch komplexe Themen immer auch Lösungs-Ansätze und Ideen zu sammeln. Zu diesem Thema sind uns folgende Optionen eingefallen:

  • Gemeinden und Städte, die sich bereit erklären, sollen Menschen aufnehmen können
  • Eine Regelung etablieren, die solche Massenunterbringungen wie in Griechenland nicht mehr möglich macht
  • Eine Obergrenze für die Zeit, die Geflüchtete in solchen Camps verbringen, bis ihr Verfahren bearbeitet wird
  • Waffenlieferungen grundsätzlich einstellen
  • Statt FRONTEX zu finanzieren – Versorgung von Menschen finanzieren
  • Debatte auf die positiven Effekte von Zuwanderungen lenken
  • Programme entwickeln, damit Menschen schneller in Arbeit kommen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können
  • Menschenrechtsbasierte Politik
  • Lobbyismus transparenter machen (welche Industriezweige beeinflussen welche Entscheidungen – Bsp. Waffenindustrie)
  • Fluchtursachen nachhaltig bekämpfen (Stabilität statt Geld-Pflaster)
  • Anreize für Kommunen schaffen – Geld für die Aufnahme von Menschen gekoppelt an Finanzmittel zum Ausbau von Infrastruktur (so entkräftet man das Argument, Geflüchtete bekämen mehr Geld, als die Menschen vor Ort)
  • Sprache und mediale Repräsentation von und mit Geflüchteten verbessern – aktuell Bild der Bedrohung, Entmenschlichung (“Flüchtlings-Welle”)
  • Menschen, die Asyl genehmigt bekommen haben, Planungssicherheit geben
  • Mehr menschliche Entscheidungen, weniger bürokratische Hürden
  • Menschenrechte und Grundrechte bei politischen Entscheidungen stärker in den Fokus ziehen
  • Mehr positive Berichterstattung – es gibt sehr viele Erfolgs-Stories

Was können wir als Einzelpersonen machen?

  • NGO’s unterstützen: Seebrücke, watch the med, Sea Watch, Pro Asyl etc.
  • Als Zivilgesellschaft Druck ausüben
  • Petitionen unterschreiben
  • Menschen, die hier sind, unterstützen (bei Behördengängen etc.)
  • Auf unsere eigene Sprache achten
  • Solidarität im Alltag zeigen
  • Spenden
  • Ehrenamtliches Engagement
  • Politisches Engagement
  • Forderungs-Katalog erstellen, der an Gemeinden gerichtet werden kann
  • Bei Andachten präsent sein
  • Leserbriefe schreiben
  • Wahlen nutzen, um Forderungen/ Wahlversprechen zu platzieren
  • Eigene Programme entwickeln, um Menschen einander näher zu bringen
  • Parteiübergreifende Projekte entwickeln
  • Informiert bleiben und Wissen weitergeben

Aktuelle Berichte und Buchempfehlungen

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