FILTERBLASEN UND WIE WIR SIE PLATZEN LASSEN
Demokratie-RAUM 2020 • Digital-Konferenz 8.11.2020
Verschiedene Theorien besagen, dass man in eine Meinungsblase geraten kann, wenn man ausschließlich eine Nachrichtenquelle nutzt. Wir erhalten einseitige Informationen und bekommen oft nur unsere eigene Meinung gespiegelt und bestätigt. Aber ist diese Theorie richtig?
Suchdiensten wie Google oder sozialen Medien wie Facebook wird nachgesagt, dass sie bei ihrer Jagd nach vielen Klicks nur die Vorschläge präsentieren, die mir nach ihrer Einschätzung gefallen. Das kann sogar Prozesse der politischen Meinungsbildung beeinflussen.
Auf dieses Thema hatten sich der Themenpate Dr. Karl-Heinz Leister und der Journalist der Frankfurter Rundschau Gregor Haschnik vorbereitet.
Karl-Heinz Leister engagiert sich seit 2019 aktiv bei „Menschen in Hanau“ und arbeitet regelmäßig bei den Vorbereitungen zu den Diskussions-RÄUMEN mit.
Für dieses Thema hat er den Publizisten Gregor Haschnik als Referenten gewinnen können. Für seinen Beitrag „Wie starb Jan H.?“ wurde dieser in diesem Jahr mit dem 1. Preis der Otto Brenner Stiftung ausgezeichnet. Er hat sich für uns mit dem Thema Filterblasen auseinandergesetzt. Wie gerät man da hinein? Gibt es sie überhaupt, und wenn ja, welche Auswirkungen haben sie auf unseren Alltag?
Können wir uns wirklich vor anderen Meinungen abschirmen?
Zu Beginn stellte einer der Teilnehmer die Frage, ob man sich bereits in einer Filterblase befinden würde, wenn man täglich einzig z.B. die BILD-Zeitung konsumiere; das wäre ja bereits zu Zeiten vor dem Auftreten der digitalen Medien möglich gewesen.
Das zeigt, der gefilterte Konsum von Informationen ist kein neues und auch kein digitales Phänomen. Das Umfeld, in dem wir aufwachsen, bestimmt oft, mit welcher Art von Menschen wir uns auch später umgeben. Der Unterschied zwischen herkömmlichen Medien und digitalen Medien ist, dass Zeitungen und Bücher direkt und bewusst gekauft werden, während wir auf die sichtbaren Inhalte in Social Media Portalen nur bedingt Einfluss haben.
Der Begriff Filterbubble, englisch für Filterblase, wurde 2011 von Politaktivist Eli Pariser in seinem Buch „Filter Bubble: Wie wir im Internet entmündigt werden“ geschaffen. Ihm fiel auf, dass er auf Facebook immer weniger von seinen Kontakten, die konservativ orientiert waren, las. Der verdächtigte Übeltäter: Der Facebook-eigene Algorithmus.(1).Trotzdem entscheiden immer wir selbst, welche Form von Nachrichten wir konsumieren. Wir entscheiden, welche Zeitung wir kaufen, welches Online-Abo wir abschließen, welche TV-Sender wir schauen und mit welchen Menschen wir uns umgeben. Sind Filterblasen also einfach unsere Art der Verarbeitung von unendlich vielen Informationen, die gerade heute tagtäglich auf uns einprasseln?
Und es ist doch klar, dass wir uns lieber mit Menschen umgeben, mit denen wir bestimmte Ansichten teilen. Wer mag es schon, ständig die eigene Meinung verteidigen zu müssen. Bequemlichkeit ist hier sicher ein Faktor.
Aus der Runde kommen schnell Beispiele, dass an der Filterblasen-Theorie etwas dran sein muss. Wir können in der Gesellschaft beobachten, dass sich Menschen, vor allem im digitalen Raum, immer mehr mit sich selbst beschäftigen und weniger mit den Ansichten anderer. Virtuell kann es sehr leicht sein, sich mit eigenen Meinungen und scheinbar Gleichgesinnten zu umgeben. Diese bestätigen dann das eigene Weltbild. Hinzu kommt online das Phänomen der Schnelllebigkeit. Alles bleibt sehr oberflächlich und es besteht kein Bedarf einander richtig zuzuhören. Der bewusste Umgang miteinander fehlt.
Dies kann dazu führen, dass wir andere Ausgrenzen, obwohl uns gar nicht alle Informationen vorliegen. Andere Meinungen werden nicht zugelassen oder es entsteht gar nicht das Interesse die andere Seite verstehen zu wollen.
Gerade auch Menschen, die sich moralisch oder akademisch überlegen fühlen, fallen dem oft selbst zum Opfer, wie eine Teilnehmerin darlegt.
Respektvoller Austausch wichtiger denn je
Dabei sind Diskussionen und der Austausch in der Gesellschaft immer wichtiger. In vielen Bereichen ist auch in Deutschland eine Polarisierung zu beobachten. Verschiedene Perspektiven werden nicht mehr diskutiert, sondern man beharrt auf der angeblich unumstößlichen Richtigkeit der eigenen Meinung. Die unpassenden Informationen, die mir widersprechen würden, wurden ja vorher herausgefiltert.
Wir schränken uns selbst und unsere Wahrnehmung ein. Der digitale Raum wirkt dabei wie ein Verstärker. Algorithmen von Social Media und Suchmaschinen filtern mir mundgerecht die Inhalte, die mich angeblich vorrangig interessieren.
Je nachdem wo ich lebe, wonach ich vorher gesucht habe etc. bekomme ich dann auch andere Informationen ausgespuckt als eine andere Person, die vielleicht die gleiche Frage stellt.
Diese Scheininformationen bestätigen dann meine Meinung und der Eindruck wird erweckt: Alle denken so wie ich.
Die digitale Filterblase hat aber eine zweite Ebene. Wenn ich scheinbar nur Inhalte bekomme, die mich interessieren, bleibe ich länger auf der Seite und je länger ich auf der Seite bleibe, desto mehr Werbung kann mir angeboten werden.
Wir als gläserne Kunden machen es den Programmen möglich vorherzusagen, was uns interessiert.
Jeder like, unser Status in den Profilen, unsere Standorte, Suchhistorie, das Klickverhalten, bei welchen Inhalten wir kommentieren – all diese Spuren werden ermittelt und gespeichert.
Was ist daran so schlimm?
„Aber nur Werbung zu sehen, die mich interessiert, ist doch eigentlich in Ordnung“, sagt eine der Teilnehmerinnen. Prinzipiell stimmt das, aber das Problem liegt eher darin, dass wir nicht wissen, was mit unseren Daten genau passiert und wofür sie noch genutzt werden, wird dagegengehalten. Die Transparenz fehlt. Wir kennen die Kriterien nicht, nach denen gefiltert wird. Algorithmen gelten noch immer als Dienstgeheimnis und wir können einfach nicht nachvollziehen, was genau gemacht wird. Online sind wir also eher Fremdbestimmt.
Wenn wir uns also immer nur mit Meinungen umgeben, die unseren entsprechen und wir keine Konfrontation mit anderen Meinungen und Inhalten haben, kann es passieren, dass unsere Meinungsvielfalt verkümmert.
Wir verlernen unsere Kompromissbereitschaft, isolieren uns und sind anfälliger, auf Verschwörungsmythen hereinzufallen. Das hat auch Auswirkungen auf unseren Austausch im realen Alltag.
Der Ton wird besonders digital immer rauer. Dort spielt die Anonymität eine entscheidende Rolle. Wenn keine konkreten Konsequenzen zu befürchten sind, ist die Hemmschwelle deutlich niedriger. Das zeigt sich auch in der Art der Kommunikation. Es wird weniger Rücksicht genommen. Zum Thema Hassrede, gab es während der Digital-Konferenz eine eigene Diskussions-Runde. Den Artikel dazu findest du hier. Ein Rückzug ins Private wird in der Runde aufgegriffen. Wir nehmen weniger am gesellschaftlichen Leben teil, engagieren uns weniger und eine Vermischung von verschiedenen Lebensrealitäten findet immer weniger statt.
Es scheint eine gesellschaftliche Trennung stattzufinden, trotz ständiger Vernetzung. Daher sind Vereine gerade heute unglaublich wichtige Anlaufstellen.
Problematisch wird es auch, wenn uns Meinungen als scheinbare Wahrheit oder mehrheitlich akzeptiert präsentiert werden, die es gar nicht sind. Diese Art der Manipulation kann dazu führen, dass unser Verhalten beeinflusst wird und auch dass wir uns online selbst einer Zensur unterziehen und bestimmte Inhalte auch nicht mehr hinterfragen. Skandale wie die von Cambridge-Analytica werden als Beispiele genannt.
Wahlmanipulation über Social Media scheint nicht nur Theorie zu sein. Dadurch kann Politik und Gesellschaft nachhaltig beeinflusst werden.
Stille Mitlesende, die sich in Kommentaren nicht aktiv beteiligen, können dadurch den Eindruck gewinnen, dass solche falschen Informationen und Meinungsmache der Mehrheit entsprechen. Uns fehlt auch bisher die digitale Bildung, um mit diesen schnelllebigen Entwicklungen umgehen zu können.
Diese Meinungsblasen lassen sich aber durch einige Tricks aufbrechen, wie der Referent klarstellt. Wir können Browserdaten und Cookies löschen und uns bewusst auch mit Menschen auseinandersetzen, die bei bestimmten Themen eine andere Meinung vertreten. Denn die Runde war sich einig, solange die Plattformen von Desinformationen und bewusst emotional aufgeladenen Inhalten profitieren, haben sie keinen Anreiz ihr System zu verändern. Diese Verantwortung tragen wir selbst.
Aber gibt es Filterblasen denn nun wirklich?
An der Filterblasen-Theorie gibt es laut Haschnik auch Kritik. Ist es gerade online nicht eher so, dass wir einer ständigen Konfrontation ausgesetzt sind (2) ? Ein Multiversum der Wirklichkeiten? Ist das Umgehen von Inhalten, die mir nicht passen, online wirklich leichter oder eher schwieriger? Haschnik wirft Begriffe wie Filter-Clash, Distanz-Verlust, Konstante Feindberührung und Echokammer-Effekt in den virtuellen Raum der Diskussion.
Wir waren uns in der Runde einig , dass ein häufiger Umgang mit Gleichgesinnten die eigene Weltsicht verengen kann. Und unser Fazit ist: Ja, den Filterblasen-Effekt gibt es durchaus und er begegnet uns auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Es ist daher sinnvoll, sich für dieses Thema zu sensibilisieren. Die Frage ist, wollen wir in diesen Filterblasen bleiben? Oder ist es nicht von Vorteil, wenn wir wieder mehr Perspektiven in unseren Alltag hineinlassen?
Gegenstrategien
Durch die Ökonomisierung unserer Aufmerksamkeit verändert sich die Art, wie wir miteinander kommunizieren. Wahrheiten sind nicht mehr klar erkennbar, die Sprache und Debattenkultur verändert sich. Aber was können wir machen, um dem entgegenzuwirken? Zum einen liegt die Verantwortung, wie bereits gesagt, bei uns selbst. Politische Regulierungen über Gesetze und ein Verbraucherschutz können nur funktionieren, wenn alle aktiv daran mitwirken.
Eine Gegenstrategie geht aber über die Mediennutzung hinaus. Wenn wir aktiv auf andere Menschen und Gruppen zugehen und den Kontakt suchen, können wir aus unserer Blase hinaustreten.
Mit mehr Mut zur respektvollen Diskussion können wir aktiv dagegenhalten. Wir müssen mehr den Mund aufmachen analog wie digital, gerade wenn wir sehen, dass jemand eine Plattform nutzt, um populistische Äußerungen zu streuen. Wir dürfen nicht wegschauen und uns in unsere Blasen verkriechen, sondern Gegenrede üben und die Konfrontation suchen. Damit wir auch den stillen Mitlesenden zeigen: Die sind mit ihrer Meinung allein.
Das ist nicht einfach. Die Hürde, jemandem Kontra zu geben und dann die richtigen Argumente parat zu haben ist hoch und das muss geübt werden. Aber das lässt sich lernen und wird leichter, je häufiger wir es tun.
Wir benötigen außerdem wieder mehr Orte, an denen Menschen Kontakt aufnehmen können, die gesellschaftsübergreifend sind. Kirchen und Sportvereine sind Beispiele für solche Orte. Doch sie haben nicht mehr die Sog-Kraft, um wirklich viele Menschen zusammenzubringen. Wir brauchen neue Orte der Begegnung, bei denen wir uns auf Augenhöhe und mit Respekt begegnen können und einander wieder kennenlernen.
Gute Tipps
Gregor Haschnik hatte für die Runde noch wichtige Hinweise, wie wir Filterblasen vermeiden können:
- Quellen analysieren
- Immer auch andere Seite hören
- Fakten prüfen
- Ereignisse nicht größer machen als sie sind
- Werte des Grundgesetzes hochhalten
- Man muss nicht alle Informationen ungefiltert konsumieren, aber bewusst
- Auch digitale Zivilcourage ist wichtig
- Nachrichten bewusst konsumieren
- Räume schaffen/stärken, wo sich unterschiedliche Menschen begegnen können
Wenn ihr das Thema vertiefen wollt:
- Eli Pariser Wie wir im Internet entmündigt werden – Buch, 2011
Zitate
(1) https://www.lmz-bw.de/medien-und-bildung/medienwissen/informationskompetenz/filterblasen-wenn-man-nur-das-gezeigt-bekommt-was-man-eh-schon-kennt/
(2) Kelly Y et al. EClinicalMedicine 2018; 6: 59-68; https://www.medical-tribune.de/medizin-und-forschung/artikel/depression-durch-soziale-medien/