Zum 16. Hanauer Freiwilligentag haben wir uns in diesem Jahr aufgemacht und einige zentrale Plätze in Großauheim unter die Lupe genommen. Wir haben uns angeschaut, wo Barrieren sind und diskutiert, welche Lösungsansätze wir uns wünschen und was gut umsetzbar ist. Im letzten Jahr haben wir einen ähnlichen Spaziergang in der Hanauer Innenstadt gemacht. Den Artikel dazu könnt ihr hier nochmal nachlesen.
Warum machen wir diese Spaziergänge eigentlich?
In erster Linie wollen wir für Barrieren im Alltag sensibilisieren. Hohe Bordsteinkanten, graue Poller und andere architektonischen Sonderheiten können für verschiedene Menschen zu Hindernissen werden. Schlimmstenfalls besteht Verletzungsgefahr. Vieles davon lässt sich beseitigen, aber wir müssen hinsehen und diese Hindernisse erkennen – idealerweise, bevor sie gebaut werden.
Zu unserer Aktion haben wir uns in diesem Jahr also neben unseren Engagierten und Expert:innen auch Verantwortliche der Stadtverwaltung und des Ortsbeirats Großauheim eingeladen.
- Gerhard Wrase (HIS – Hanau Infrastruktur Service, Stadtplaner),
- Walter Siebenhüner (Hanau Straßenverkehrsbehörde),
- Monika und Reiner Dunkel sowie Frank Renner (Ortsbeirats Großauheim)
- Heinrich Hartl (Heimat- und Geschichtsverein Großauheim)
- Boris, Gaby, Kirsten, Marc-Eric, Marianne, Peter und Sylvie (von unserem Checker-Team)
- interessierte Bürger:innen und Aktive von Menschen in Hanau e. V.
Uns geht es darum, konstruktiv im Gespräch und Austausch zu bleiben. Es ist schließlich in unser aller Interesse, wenn alle in Hanau gut leben und sich darin gut fortbewegen können.
Wir starten am Bahnhof
… und wären beinahe nicht darüber hinausgekommen. Der Bahnhof Großauheim weist viele Mängel und Hindernisse auf. Angefangen beim Bahnsteig, stellen wir direkt fest, dass dieser sehr schmal ist. Unsere Rollstuhlfahrenden landen automatisch in der Sicherheitszone. Der Weg ist sehr uneben und als Mensch mit Seheinschränkung braucht man ordentlich Glück, um sich nicht in Gefahr zu bringen.
„Eine blinde Person würde ich hier nicht hinschicken“
Boris
Die Kontraststreifen sind verblichen und ein Gleisübergang hat Stufen, die gar nicht gekennzeichnet sind. Barrierefrei sieht anders aus.
Der Bahnhof stellt ein echtes Problem dar. Die beste Lösung wäre, den Bahnhof und den Vorplatz komplett neu zu planen. Mit Bahnsteig und Automaten auf der gegenüberliegenden Seite, ebenen Übergängen und gut sichtbaren Kontraststreifen, wo sie dann noch notwendig sein sollten. Anscheinend ist von Seiten der Deutschen Bahn auch etwas in der Art geplant, doch für wann? Wie rückt dieser Punkt in der Priorität nach oben, ohne, dass Menschen vorher zu Schaden kommen müssen?
Der Vorplatz am Bahnhof
… sieht leider nicht viel besser aus. Um den Eingang für Rollstuhlfahrende zu finden, müssen wir ein ganzes Stück das schmale Gleis entlanglaufen. Nach einem Hinweisschild suchen wir vergebens. Dort angekommen ist zwar direkt ein Parkplatz angebunden, dieser ist allerdings nicht gepflastert, was mit Rollstuhl nicht gut passierbar ist. Der Bürgersteig, auf den wir dann kommen, ist sehr schmal und zum Beispiel für E-Rollstühle nicht geeignet – sie haben wenigstens genug Power, um über den Schotter-Parkplatz zu fahren …
Am Bürgersteig fällt uns noch auf, dass dieser nicht abgesenkt ist. Bei einer Höhe von 11 cm haben unsere Checkerinnen mit Rolli dann darauf verzichtet einen Abstieg auszutesten. Um auf die gegenüberliegende Seite zu kommen, müssen sie also erst den gesamten Weg entlang fahren, hoffen, dass irgendwo eine Absenkung kommen wird und dann die Straßenseite wechseln – um den Weg dann wieder zurückzufahren …
Auch hier ist eine Umgestaltung notwendig. Jedoch sind aktuell kaum Baufirmen zu bekommen erfahren wir von Herrn Wrase, die Bordstein-Absenkungen vornehmen können. Dass etwas getan werden muss, darin waren wir uns alle einig.
Ist das ein Zebrastreifen?
Wir rattern den engen Bürgersteig entlang und gelangen direkt vor dem Bahnhofsgebäude an eine Reihe grauer Poller, die wir direkt mit unseren Poller-Mützen ausstatten. Nicht markierte Poller mögen zwar im Straßenbild netter aussehen, aber mal ganz ehrlich, mit wie vielen haben wir alle schon mal ungewollt nähere Bekanntschaft geschlossen?
Gut sichtbare Kontraststreifen an Pollern sind unkompliziert anzubringen und nicht nur eine nette Geste für Menschen, mit unterschiedlichen Seheinschränkungen. Wobei wir gar nicht so viele Poller im Stadtbild bräuchten, wenn es weniger Wildparkende gäbe – aber das ist ein ganz eigenes Thema.
Abgelenkt von der Poller-Reihe, fällt der verblasste und teilweise überbetonierte Zebrastreifen gar nicht auf, der direkt auf eine stark befahrene Kurve folgt. Doch die Position und die Farbe sind nicht das einzige Problem. Der Zebrastreifen endet halb an einer Bürgersteigabsenkung – die allerdings nicht niedrig genug ist.
Von Seiten der Stadt wurde betont, dass dieser Zebrastreifen nicht den Richtlinien entspricht. Auch neue Streifen reichen hier also nicht. Der Bereich muss komplett neu geplant und gestaltet werden. Da das Eingangsgebäude bald verschwindet und der Platz ohnehin neu geplant werden muss, können – neben neuen Absenkungen – gleich zwei Lampen mitgeplant werden, damit die Überquerenden von den Autos gesehen werden.
Exkurs Bürgersteig-Absenkungen
Unsere Checkerinnen, die mit Rollstuhl unterwegs sind, erklären uns, das abgesenkte Bürgersteige für sie teilweise schlecht zu befahren sind. Die Schräglage ist anstrengend und bei der Häufigkeit sicher nicht rückengerecht.
Wir diskutierten daher über mögliche Lösungen. Bürgersteige könnten natürlich auch eben gebaut werden, doch dann wird es zur Einladung für Wildparkende (die schon wieder). Es gäbe aber auch die Möglichkeit nur die Borsteinkante abzuflachen. Autos kommen in ihre Einfahrten und alle anderen laufen/fahren auf einer geraden Fläche. Eine flächendeckende Umrüstung dürfte zeitlich eher in der Zukunft zu sehen sein, unmöglich ist es aber nicht.
Auf den Spuren von August Gaul
Wir haben unsere Tour durch Großauheim am August-Gaul-Pfad orientiert. Bei kurzen historischen Exkursen an verschiedenen Stationen haben wir auf dem Weg verschiedene Poller entdeckt, die wieder aufgefrischt gehören, Laternenmasten gesehen, die sich ebenso kontrastreicher gestalten ließen, usw.
Warum Straßenlaternen immer mitten auf den Gehwegen platziert sind, erklärt uns Herr Wrase: Damit LKW und Busse ihre Seitenspiegel nicht kaputtfahren bzw. weil ihr Lichtraumprofil einen Abstand erfordern, gibt es die Vorgabe, dass Laternen 50 cm zur Straßenkante platziert werden müssen. Logisch, kaputter Spiegel kostet mehr als die Beule auf der Stirn, weil die Laterne nicht gesehen wurde – heilt ja von alleine.
Aber ließe sich das nicht auch anders gestalten? In Marburg sind Laternenmasten z. B. Rot, um sich gut abzuheben. Wie lässt sich so etwas gut und zeitnah umsetzen und vor allem, lässt sich für solche Umgestaltungen vielleicht ein Extra-Posten im Haushalt der Stadt einrichten? Ein Barrierefrei-Budget oder so ähnlich?
„Verkehrsbeunruhigter“ Bereich
Auf unserem Weg laufen wir durch die Langgasse. Sie hat ihren Namen wahrscheinlich bekommen, weil Fußgänger und Rollstuhlfahrende immer stehen bleiben müssen, um (ziemlich schnell) fahrende Autos vorbeizulassen – da kann der Weg schon mal länger dauern. Die parkenden Autos sind zwar schön an der Seite platziert, aber die Straße ist so stark befahren, dass sie als Spielstraße absolut ungeeignet ist.
An einigen Stellen sind Straßenmarkierungen als Hinweise auf die Verkehrsberuhigung angebracht. Dies könnte man noch deutlicher die gesamte Langgasse entlang platzieren. Eine andere Idee war ein Smiley-Geschwindigkeitsmessgerät, um für das eigene Tempo zu sensibilisieren.
Und wenn das alles nichts hilft, sollte wirklich überprüft werden, ob diese Straße als verkehrsberuhigter Bereich überhaupt sinnvoll ist.
Der Rochusplatz
Unsere letzte Station war der Rochusplatz. Über die Gestaltung gibt es unterschiedliche Ansichten, über die wenig kontrastreichen Poller nicht. Auch hier sollte es möglich sein, Laternen und Poller besser vom grauen Asphalt abzuheben, ohne dass die Gestaltung darunter leidet.
Wir diskutierten auch den Sinn und Zweck des Leitstreifens an dieser Stelle sowie die Positionierungen der Tempo-Schilder. Hier kann nach unserer Einschätzung sicher nachjustiert werden.
Warum der Platz so kahl geblieben ist, hängt wohl mit den Anforderungen der Marktstände zusammen. Wir würden uns für einen Platz, der belebter sein soll auf jeden Fall mehr Grün wünschen. Bei knallender Sonne würde – solange die Bäume noch nicht wirklich Schatten spenden – keiner von uns hier verweilen wollen.
Fazit:
Wir sind bei unserem kritischen Spaziergang in Großauheim leider sehr fündig geworden. Positiv ist jedoch, dass die Verantwortlichen der Stadt Hanau und der Ortsbeiräte den Betroffenen zuhören und Interesse daran haben, diese Mängel anzugehen. Wir werden weiterhin im Austausch bleiben, für diese Barrieren sensibilisieren und daran arbeiten, dass sie beseitigt werden.