Bei unserer Auftakt-Veranstaltung für unsere Was-NUN?-Reihe, blicken wir in die Vergangenheit, um den Hanauer Anschlag besser einordnen zu können. Rassistische Gewalt ist kein Phänomen, das in Deutschland erst mit dem 19. Februar begonnen hat. Trotzdem wird Rassismus als strukturelles Problem nicht erkannt oder diskutiert und eine echte Aufarbeitung dadurch erschwert. Wir zeigen im folgenden, warum Erinnern erkämpfen so wichtig ist.
Rassistische Gewalt in den 1980er Jahren in Deutschland
Im Gespräch mit: Ceren Türkmen
Als erste Gästin haben wir Ceren Türkmen eingeladen, die uns über den rassistisch motivierten Anschlag in Duisburg in den 1980er Jahren berichtet hat. Zwischen Duisburg und Hanau gibt es viele Parallelen, wenn wir uns die Strukturen und den Umgang mit Betroffenen ansehen. Auch hier gründete sich eine Initiative, die noch heute Aufklärung und Gerechtigkeit fordert.
Der Hintergrund
1984 sind bei einem Brandanschlag auf ein Wohnhaus 7 Menschen getötet und 35 Menschen verletzt worden.
Döndü Satır, 40 Jahre alt
Zeliha und Rasim Turhan, 18 Jahre alt, und deren Sohn Tarık Turhan, 1 Monat alt
Çiğdem Satır, 7 Jahre alt
Ümit Satır, 5 Jahre alt
Songül Satır, 4 Jahre alt
Das Wohnhaus befand sich in einer Siedlung, die nur von Migrant:innen bewohnt wurde. Duisburg war damals bekannt für seine Stahlproduktion und den Kohleabbau. In den 80er Jahren lebten dort also viele Gastarbeiter:innen. In der Berichterstattung aus der Zeit findet man oft die Begriffe „Türkensiedlung“, was eine Fremdbezeichung ist, da in der Siedlung sehr unterschiedliche Nationalitäten lebten. Diese Anonymisierung erinnert an die Titel „Döner-Morde“ (NSU-Mord-Serie) oder „Shisha-Morde“ (Anschlag in Hanau).
In den 80er Jahren wurde der Brandanschlag nicht aufgeklärt. Rassismus wurde als Motiv sofort ausgeschlossen, trotz Aufforderung den Anschlag dahingehend zu überprüfen. Ermittlungen fanden nur innerhalb der Communities statt. Hinweise auf eine Neonazi-Vereinigung, die damals in Duisburg aktiv war, hätte es gegeben. Das mediale Interesse ebbte nach einiger Zeit ab.
In den folgenden Jahren gibt es immer wieder ähnliche Brandanschläge. 1993 wird eine Täterin festgenommen, die eine Geflüchteten-Unterkunft angezündet hatte. Im Verhör gesteht sie, auch den Brandanschlag in Duisburg begangen zu haben. Rassismus als politisches Motiv oder eine Ermittlung nach Netzwerken, in denen sie vielleicht aktiv war, gab es nicht.
Es gibt noch zwei Überlebende des Anschlags, die noch immer unter den Folgen leiden.
Gerechtigkeit und Sichtbarkeit
Nach dem Anschlag in Hanau, gab es viele Kampagnen, Demonstrationen und ein breites mediales Interesse. Die Sichtbarkeit ist heute also sehr viel größer, als es in den 80er Jahren der Fall war.
Die Berichterstattung zu den Morden in Duisburg zeigte, dass Migrant:innen keine Priorität waren. Es wurde nur von „Türken“ oder „Ausländern“ geschrieben. In deutschen Zeitungen tauchen die Namen nicht auf. Die Migrant:innen haben sich aktiv gegen Rassismus eingesetzt, wurden aber nicht ernst genommen. Ihre Perspektiven waren anscheinend nicht erzählenswert.
Ähnlich wie in Hanau wird versucht, die Täter:innenschaft zu isolieren. Die Täterin in Duisburg wird zu einer pathologischen Pyromanin, der Hanauer Täter wird als „Irrer“ deklariert. Also nur Einzeltaten? Ist das realistisch? Wenn es eine hohe Dunkelziffer, nicht aufgeklärter, rassistischer Anschläge gibt oder Straftaten nicht als rassistisch motiviert dokumentiert werden, wird eine mögliche Problematik auch nicht sichtbar. Zusammenhänge werden nicht gesehen und dadurch strukturelle Probleme und eine wachsende rechte Gefahr nicht als solche erkannt.
Duisburg ist heute als Ort des Anschlags in der allgemeinen Wahrnehmung weniger präsent. Es braucht aktive Erinnerungsarbeit, um eine solche Tat und die Zusammenhänge nicht zu vergessen. 2017 gründete sich deshalb die Initiative Duisburg 1984, um dem Vergessen entgegenzuwirken und die Narrative der Betroffenen in die Öffentlichkeit zu rücken.
Kontinuitäten
Rassistische Ideologien stehen im Zusammenhang mit einer fehlenden Aufarbeitung des Nationalsozialismus und des deutschen Kolonialismus. Ceren erläuterte sehr anschaulich, dass der Zusammenhang wichtig ist, um die Entwicklung des rechten Gedankenguts zu verstehen.
Die Migrationspolitik der 60er und 70er Jahre bewegte beispielsweise rechte Organisationen dazu, Kampagnen und Bürgerinitiativen zu gründen, um gegen eine konstruierte Überfremdungsgefahr zu protestieren. Mit der Stahlkriese der 80er Jahre sollten erwerbslose Migrant:innen (teilweise durch Prämien) zur Rückkehr bewegt werden. Diese Rückkehrpolitik und das politische Klima, dass dadurch erzeugt wurde, begünstigte rassistische Gewalt, wie die Anschläge in Duisburg oder Solingen. Die Gewalt wird in der Art der Berichterstattung wiederholt und die Betroffenen werden nicht gehört. Die Rhetoriken aus dieser Zeit, aber auch aus der Nazizeit, finden wir teilweise auch heute wieder im Bundestag und in den Medien.
Strukturen sichtbar machen
Rassismus ist kein Problem der rechten Szene in Deutschland, sondern ein strukturelles. Wir müssen anfangen, von rassistischen Strukturen zu sprechen und diese sichtbar zu machen. Menschen, die migrantisch gelesen werden, begegnen Rassismus jeden Tag. Und zwar nicht in Form von Rechtsextremen, sondern in Form von Gesetzen und Institutionen, die sie im Alltag benachteiligen. Mit der Sprache fängt es an. Sobald sich die Grenzen des Sagbaren verschieben, beginnen die Grenzen des Machbaren zu verschwinden. Es ist unsere Aufgabe als Gesellschaft, zu zeigen, dass wir dieses Gedankengut nicht teilen und rassistische Gewalt, egal in welcher Form, nicht akzeptieren.
Die eigene Geschichte erzählen dürfen
Die Betroffenen des Anschlags in Duisburg konnten ihr Trauma nie richtig verarbeiten. Auch in der Familie wurde nicht mehr darüber gesprochen, da es kein Ventil für sie gab, mit der Situation umzugehen Dies führte ein Jahr später auch zum Tod von Ramazan Satır, der durch den Brandanschlag seine Familie verloren hatte. Eine erste Gedenkveranstaltung gab es erst 2019.
Befreiung geht erst, wenn alles aufgeklärt ist
Durch die Initiative beginnt die Familie nun langsam das Trauma zu verarbeiten und sich aktiv gegen Rassismus auszusprechen. Es ist wichtig, dass die Betroffenen selbst ihre Geschichten erzählen können. Wir brauchen diese Geschichten und dürfen sie nicht vergessen.
Es braucht eine aktive Erinnerungskultur und offene Gespräche, um strukturelle, rassistische Ideologien zu erkennen und gesellschaftliche Lösungen zu entwickeln.
Gegen das Vergessen
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