post-title Bei EIS scheiden sich die Geister von Holger Gräbener

Bei EIS scheiden sich die Geister von Holger Gräbener

Bei EIS scheiden sich die Geister von Holger Gräbener

Bei EIS scheiden sich die Geister von Holger Gräbener
Prolog:

Liebe Menschen-in-Hanau-Webseite-Leser und Leserinnen,

heute gibt eine ganz andere Art des Beitrags – so was, was die klassischen Tageszeitungen als Kolumne betitelt: witzig, manchmal bissig, dem einen entlockt es ein prustendes Lachen, die nächste runzelt die Stirn, rollt mit den Augen. Immer mit einem wahren Kern verknüpft, immer mit versteckten oder auch offenen Botschaften. Text als Kunstform.

Wir brechen mit unserer Regel, eine leicht verstehbare Sprache zu verwenden. Uns fehlt das Wissen und die Vorstellungskraft, wie Witz und Wortspiel in einfache Sprache umzusetzen wäre. Keine Regel ohne Ausnahme – wir veröffentlichen den Beitrag und hoffen, dass es ganz vielen von euch gefällt.


Bei EIS scheiden sich Gemüter und Geschmäcker

Schon mehrfach habe ich es am eigenen Leib gespürt: bei EIS scheiden sich Gemüter und Geschmäcker – die Kleinen mögen es gerne am Steckerl, die etwas Größeren in der Cola, die Großen unter Androhung der „Todesstrafe“ auf keinen Fall im Whiskey!

In unserer Firma greift man gerne nach dem Günstigen, das eine mütterliche Kollegin eigenständig im extra angeschafften Gefrierschrank nachfüllt. Autos benötigen offensichtlich „Crashed Ice“, denn das gibt es in großn Mengen abgefüllt in Plastiktüten und gepackt in Gefriertruhen, die fast an jeder Tankstelle zu finden sind. Fußballer mögen es in sprühbarer Form, um den Schmerz zu überdecken, den der (nie gewollte) Tritt des Gegners hervorruft. Und dann gibt es noch die Eisbären, die das Eis als Weg brauchen, um auf ihren Wanderungen nicht so weite Strecken schwimmen zu müssen. Last-but-not-least verlangt die zweitbeste Ehefrau das Eis als Spaghetti-Eis, selbstverständlich nur mit frischer Erdbeersoße. (Zweitbeste Ehefrau deshalb, weil die Beste hat Ephraim Kishon – sagt er.)

Ich selbst mag ja strenggenommen gar kein Eis – ich esse es nur, weil eine Freundin die Behälter zur Aufnahme von Essensresten benötigt. So opfere ich mich eben und helfe der Freundin beim Leeren der Behälter. Zum Aufbewahren der Reste eignen sich erstaunlicherweise am besten solche Behälter, die zuvor Schokoladen-Eis oder dessen Abkömmlinge (Nuss, Tiramisu u.ä.) enthielten.

Der Ruf des selbstlosen Behälter-Leerers eilt mir nun schon geraume Zeit und ein ganzes Stückchen des Weges voraus – so auch in Würzburg, wo ich mich geplant 14 Tage im dortigen Klinikum, genannt UKW (Uniklinik Würzburg) neu auf die Medikamente für oder gegen meinen ständigen Begleiter Morbus-Parkinson habe einstellen lassen.

Damit allen Beteiligten klar ist, mit wem Sie es zu tun haben, frage ich erst einmal nach dem Beschwerdebuch und lege sofort ein Neues an, als sie mir berichteten, sie hätten keines. Nach ca. 5 Jahren wäre die Anpassung durchaus angebracht gewesen, dass wir das nicht taten, hat mich 12 Monate belastet und ist auch nicht spurlos an mir vorübergegangen.

Die Würzburger Truppe hat mich dafür innerhalb vom 10 Tagen wieder so aufgepäppelt, sodass sich frühere Bedürfnisse erneut eingestellt haben.

So kam ich ins Gespräch mit einem meinem Ergotherapeuten über Cremissimo, ein besonders leckeres Eis, dessen 900 ml Verpackung alle Anforderungen für die Essens-Reste-Verwahrung erfüllt. Dieser Behälter ist bei Lidl zum reduzierten Preis zu erwerben; statt € 3,49 für nur € 1,88 (inklusive Inhalt).

Da bleibt nur die Frage – wer holt es? Der Therapeut hat gleich Feierabend und noch eine private Verpflichtung; die Patienten dürfen das Klinik-Gelände nicht verlassen; die Nachtschwester hat so schon genug zu tun und sonst ist hier niemand für so einen Job. Und nun? Werde ich das auch noch selbst erledigen müssen.

Die Nordic-Walking-Stöcke sollte ich sowieso ausprobieren und berichten, ob sie eine „Geh-Hilfe“für mich sein könnten. Stöcke allein sind aber sicher noch keine Belastung, sodass ich noch einen Rucksack und 2 Kühl-Akkus von Schwester Ellen auf die Wanderung mitnahm.

Erklären kann ich es nicht – zumal es draußen noch hell war – ich muss wohl trotz ständiger Überprüfung an irgendeiner Stelle falsch abgebogen sein und somit ruckzuck aus dem Klinik-Gelände entschwunden.

Wenn dieses Abkommen vom rechten Weg schon grundsätzlich mit Schmerzmittel-Entzug geahndet wird, dann kann ich auch weiter laufen; eine Spalt-Tablette oder was von Ratiopharm bekomme ich jetzt eh nicht mehr …

Gesagt, getan, da ist schon die Einfahrt zum Lidl-Parkplatz. Ein schöner, neuer Lidl, sehr ordentlich aufgeräumt, nur in der Truhe, in der mal Cremissimo war, gähnende Leere außer 5 Packungen Eis von einer Sorte, die niemand haben möchte. Wenn ich nun schon da bin, nehme ich 2 Packungen davon, 2 Tafeln Schokolade und Gummibärchen mit an die Kasse. Hinter mir legt eine junge Dame einen etwas größeren Einkauf auf das Band.

Ich bitte die Dame, mir beim Einräumen zu helfen, denn 2-mal Eis, Schokolade, Bärchen, Walking-Stöcke, Geldbörse und Rucksack erfordern von mir ein Jonglage-Geschick, das ich derzeit nicht einmal auch nur ansatzweise leisten könnte; zumal ich auch noch bezahlen sollte.

Die Dame ist so nett und hilft mir beim Einräumen in den Rucksack. Als wir fertig sind, kommt sie dicht an mein Ohr (ich frage mich schon, was hat sie nur?) und spricht mit verschwörerischer Stimme: Sind Sie auch aus dem Klinikum ausgerissen?

Mir wird einen Moment lang heiß, dann zeigt sie auf mein Armbändchen, das mich als Patient des UKW ausweist. Sie sei Mitarbeiterin der Klinik und erkennt das Band sofort. Sie hätte mich ja gerne mit dem Auto mitnehmen können, aber nein – erst lachen und den anderen dann laufen lassen!

Zurück auf Station habe ich mein Eis verteilt, aber nichts zum Vorfall bei Lidl gesagt.

Am nächsten Morgen bei der Visite beginnt meine Ärztin: So, Sie waren also gestern beim Lidl? Ich wollte schon 1,000 Erklärungen für das Abweichen vom rechten Weg aufzählen, da bremst sie mich. Sie wollte nur wissen, wie es mit den Stöcken gegangen sei. Für das Verlassen des Klinik-Geländes bin ich schon am Vortag getadelt worden – da war ich für die Station Erdbeeren kaufen!

Erlebt und erfunden von Holger Gräbener.

Ein Mann in blauer Jacke steht für einem hellen Bücherregal. Er hält Eisdosen in der Hand, aus seinem Rucksack schaut eine weitere heraus.

Holger Gräbener

Weitere spannende Geschichten von Hanauer*innen und Ihrem Umgang mit herausfordernden Lebenslagen findet Ihr auch in der Rubrik Mutmacher-Geschichten.

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