post-title Die Ohren sind neu geschlüpft – meine HÖRgeschichte (von Sabrina Franze)

Die Ohren sind neu geschlüpft – meine HÖRgeschichte (von Sabrina Franze)

Die Ohren sind neu geschlüpft – meine HÖRgeschichte (von Sabrina Franze)

Sabrina hält ihren Soundprozessor in der Hand. Ein ein-Cent Stück klebt auf Grund des Magneten an diesem.

Sabrina ist 28 Jahre jung und lebt als gebürtige Hanauerin heute in Rödermark. Seit Geburt an konnte sie auf einem Ohr nichts hören und leidet darüber hinaus an einer Knochenstoffwechselerkrankung („Phosphatdiabetes“). Nach Abschluss ihres Abiturs im Jahr 2012 erkrankte sie auch noch an Morbus Meniére (eine Innenohrerkrankung, deren Ursache bis heute unbekannt ist).Dies führte zum schleichenden Hörverlust auf dem noch gesunden Ohr.

Heute kann Sabrina auf Grund zweier Cochlea Implantate (siehe auch Erfahrungsbericht von Adelaida) wieder hören und am Leben teilhaben. Sie hat Gebärdensprache erlernt und arbeitet heute nach einer Umschulung als Audiotherapeutin. Wir haben ein Interview mit Sabrina geführt und möchten ihre Erfahrungen mit der Hörschädigung und dem Entschluss sich implantieren zu lassen gerne hier teilen.

Passagen aus einem verfassten „HÖR-tagebuch“ von Sabrina haben wir an entsprechenden Stellen hervorgehoben eingefügt.

Meine HÖRgeschichte – Informationen aus erster Hand

Sabrina, du bist seit Geburt an auf einem Ohr taub – wie wurdest du oder deine Eltern darauf aufmerksam?

Seit meiner Geburt bin ich auf meinem linken Ohr taub. Das bemerkte man allerdings erst im Schulalter, da auffiel, dass ich mich immer zu der Signalquelle drehte. Auch konnte ich erst jetzt wirklich ausdrücklich sagen, dass ich nichts verstanden habe oder es war aufgefallen, dass ich Gesagtes nicht mitbekommen hatte. Meine Aussprache entwickelte sich völlig normal, weshalb man keine Hör- oder Sprachdefizit deuten konnte. Zu der damaligen Zeit stand eine Operation noch nicht im Raum, da ich ja ein funktionstüchtiges rechtes Ohr hatte.

Welche Erfahrungen hast du während deiner Regelschulzeit von 12 Jahren in Bezug auf deine Hörschädigung gemacht?

Schulische Probleme, zum Beispiel in Fremdsprachen oder bei Diktaten, wurden nur teilweise mit Verständnis von den Lehrern und den Mitschülern gesehen. Ich erinnere mich an mein letztes Erlebnis in der 12. Klasse: während eines Vokabeltests in Englisch. Ich fragte, ob die Lehrerin das Gesagte nochmals wiederholen könne (da sie dies mit dem Rücken zu mir sprach). Ihre Antwort war: Nein, ich hätte das verstehen müssen. Wiederholen könne sie das nicht mehr. Die Lehrerin wusste von der Hörschädigung, allerdings hatte ich Pech.

Oftmals kam ich völlig übermüdet nach Hause und wollte einfach nur „abschalten“. Damals wurde dies oft als „das Kind ist nur ein bisschen faul“ abgestempelt. Heute weiß man, was für ein enormer Hör – Stress dahinter steckte. Denn der Kraftaufwand ist enorm. Wenn die Aufklärung (für Eltern und Schule) besser gewesen wäre, hätte ich womöglich ein bisschen weniger Stress gehabt. Eltern trifft meiner Meinung nach hier keine Schuld. Es bedarf mehr Aufklärung in und um die Schule, zum Beispiel durch das Schulamt oder geschulte Pädagogen, die gleich bei solchen Problemen eingreifen. Dies wäre auch ein wichtiger Schritt für eine gelungene Inklusion im Bildungsbereich.

Wie ging es nach der Schule weiter?

Nach meinem Abitur im Jahr 2012 erlitt ich einen Schlag. Ich wachte morgens auf und stellte sofort fest, dass alles viel dumpfer, wie unter einer Käseglocke, klang. Dies fiel mir sofort auf, da ich bis dato nur ein gesundes Ohr hatte. Ich lies mich sofort von einem HNO Arzt untersuchen und man stellte ein vermindertes Hören fest. Leider mein einziges Symptom zu diesem Zeitpunkt. Der Arzt war ratlos, denn einen typischen Hörsturz hatte ich nicht. Meiner Arbeit als medizinische Fachangestellte konnte ich so nur schwer fortsetzen.

Ein halbes Jahr wurde ich fortwährend mit Cortison behandelt, bis dann im Dezember 2012 mein erster Morbus Meniére Anfall eintrat. Symptome sind massiver Schwindel, Hörverlust vor allem im Tieftonbereich, Druck auf dem Kopf und Tinnitus. Durch die verzögerte Behandlung verlor ich auch mein Hörvermögen auf dem vormals gesunden, rechten Ohr.

HÖR-tagebuch: „Ich starre aus dem Fenster. Versuche dem Blick Stand zu halten. Ich habe mir vorsichtshalber schon den Eimer daneben gestellt. Ich weiß gar nicht was ich hier mache. Es dreht sich alles. Einfach weiter. Ich fing an zu beten: wenn das kein Ende nimmt, dann mach das Ende. Es dreht sich alles. Ich versuche die Augen zu schließen, es wird schlimmer. Ich bete, dass es ein Ende nimmt. Wenn der Tinnitus nur ruhiger werden würde. Dieser Druck auf dem Kopf. Kann ich bitte aus dem Karussell aussteigen? (…)“

Daraufhin hast Du Dich für ein Cochlea Implantat (CI) entschieden?

Genau, ich machte mich in dieser Zeit selbst auf die Suche nach Heilungs- beziehungsweise Linderungsmöglichkeiten. Da meine Muttersprache die Lautsprache ist und ich in einer hörenden Welt aufwuchs, entschied ich mich nach guter medizinischer Beratung für meine erste Implantation im März 2013 auf der linken (von Geburt an tauben) Seite. Zu große Hoffnungen für einen Erfolg wurden mir nicht gemacht, da eine solche Hörprothese nur Erfolge zeigt, wenn man noch nicht allzu lang ertaubt war und der Hörnerv intakt ist.

Man versuchte es dennoch und heute ist das CI-Ohr das bessere verstehende und hörende Ohr. Nachdem ich ein Jahr später gute Erfolge erreichte und ein Hörgerät auf der rechten Seite keine Erfolge zeigte, ließ ich mich auch rechts implantieren. Zeitgleich unterzog ich mich einer (deshalb war die zweite eine etwas schwierigere OP) Saccotomie gegen den Morbus Meniére. Seitdem lebe ich schwindel – und anfallsfrei.

Was für Erfahrungen hast du nach der Operation gemacht?

Das Bild zeigt Sabrina nach der ersten CI Operation mit Druckverband auf einem Bett liegend.

Sabrina nach der ersten CI Operation mit Druckverband

Das wichtigste einer solchen Ohr-Operation ist (Achtung – heute handelt es sich nur um eine Ohr-Operation mit einem minimalen Schnitt hinter dem Ohr, der später nicht mehr sichtbar ist!!!), sich Zeit zu geben und seine Erwartungen herunter zu schrauben und dennoch mit Elan an die Sache heran zu gehen.

 

Nach der OP muss alles gut verheilen, bis man das Implantat zusammen mit dem außen getragenen Soundprozessor aktiviert.

 

War es einfach sich mit dem CI vertraut zu machen und damit umzugehen beziehungsweise sich daran zu gewöhnen?

Die erste Zeit war hart, denn man darf sich nicht vorstellen, es wird eingeschaltet und alles ist gut. Nein, es bedarf viel Training und Geduld. Man muss das Hören und Verstehen neu erlernen. Die Ohren sind neu geschlüpft. Jeder Buchstabe, jedes Geräusch muss in einem speziellen Hörtraining wieder erlernt werden. Dies geschieht zudem meist in einer Rehabilitation, mit Hilfe von Logopäden, Audiotherapeuten oder Sprachtherapeuten, die man stationär (intensiver!) oder ambulant durchführen sollte.

Zur verständlichen Darstellung hier ein paar Einträge aus meinem HÖR-tagebuch:
„Vier Wochen nach Aktivierung des CI’s: ich war spazieren, und drehte mich um, was habe ich da gerade gehört? Ich fragte die Freundin, die mich begleitete. Ich sagte, was war das für ein Klopfen? Hast du das auch gehört? Darauf sagte sie mir, es sei ein Specht. Dort. Ich war baff. Ich konnte das Geräusch hören.“

„Eine Woche nach OP des zweiten CI: noch ist es rechts nicht aktiviert und ich bin auf mein linkes CI angewiesen. Mein linkes CI ist noch nicht so gut, dass ich es ohne Mundabsehen schaffe. Das Fernsehschauen gestaltet sich noch schwierig. Derzeit benötige ich noch Untertitel, und ab und zu mit Gebärdensprachdolmetscher, damit ich entspannter folgen kann.“

„Langsam erlange ich ein Richtungshören, welches ich nie erlernte. Jetzt, da ich zwei CI-Ohren habe, kommen langsam die Unterschiede. Ich kann rechts und links unterscheiden. Das Gefühl zu verstehen, dass ich weiß woher der Radfahrer kommt, ist besonders für mich im Straßenverkehr sicherer geworden.“

„Vier Wochen nach Aktivierung des zweiten CI: Ich bin gerade in der Reha angekommen. Meine Aufnahme verlief reibungslos. Hier laufen sehr viele CI-Träger/innen herum. Ich konnte mich mit einigen anfreunden. Es ist gut zu wissen, dass man nicht alleine da ist. Ich werde wieder einzelne und Gruppen – Stunden haben um das hören mit den CI’s zu erlernen.“

„Kurz vor Ende der Reha: Ein weiterer Freudenpunkt, den ich heute erlebte: Meine Hör-Therapeutin schickte mich auf mein Zimmer und sagte mir, wenn das Telefon klingelt, soll ich abnehmen. Natürlich war ich sofort mit Schweißperlen bedeckt. Ich? Telefonieren? Was zuvor gar nicht mehr klappte, hat heute funktioniert. Natürlich benötigte ich noch viel Hilfe, und dies ist nicht mit einem lockeren Telefonat zwischen zwei Gut-Hörenden zu vergleichen. Mir wurden Zahlen gesagt, ich sollte wiederholen. 5 von 10 Zahlen konnte ich gut verstehen. Danach wurde dies gesteigert, auf mehrsilbige Wörter. Hier habe ich trotz, dass ich die Person nicht sehe, die Möglichkeit zu kombinieren. Auch hier hatte ich Erfolg. Nach 10 Minuten Telefontraining war ich platt. (…)“

„Sieben Monate nach CI Aktivierung: ich bin ein absoluter Hörspiel – Hörer. Zum Training schließe ich meine Cochlea Implantate direkt z.B. per Bluetooth und Kabel an meine Soundprozessoren an. Ich kann die Sprecher anhand der unterschiedlichen Stimmen erkennen. Im Hintergrund klingt es aber noch nicht klar. Ein leichter „Nachhall einer Roboter – Stimme“ signalisiert noch immer der Kopf, wenn ich das Hörspiel höre.“

Wie fühlst du dich heute mit deinen beiden technischen Errungenschaften?

Heute möchte ich meine Cochlea Implantate nicht mehr missen.

Dennoch genieße ich auch ab und zu die Stille. Das mag vielleicht grauenvoll klingen, aber ich mag beides. Ich finde wichtig, dass Menschen, die vor solch einer Entscheidung stehen, wissen sollten, dass man auch mit Cochlea Implantat taub bleibt. Trotzdem ist es eine sehr gute Erfindung, um einen Menschen wieder den Höreindruck zu vermitteln, um in der hörenden Welt teilzunehmen.

Auch sollte man die Grenzen eines CI’s kennen. Jeder hat eine andere und teilweise sehr lange Hörbiografie mit den unterschiedlichsten Erfahrungen erlebt. Dies spielt eine große Rolle für den Erfolg eines CI. Es gibt CI-Träger*innen, die einwandfrei perfekt telefonieren können. Andere wiederum erlernen nur sehr schwer oder mit Zusatzmitteln (z.B. FM-Anlage, spezielle Hörgeschädigten-Telefone) diese Tätigkeit. Genau aus diesem Grund habe ich im Laufe meiner CI-Zeit mich mit meiner Schwerhörigkeit auseinander gesetzt. Ich erlernte die deutsche Gebärdensprache (die ist übrigens nicht so schwer, und ob jung oder alt, sie ist erlernbar), die heute auch ein Teil meiner Hörbiografie ist.

Hörschädigungen können jeden treffen, und hat NICHTS mit dem Alter zu tun. Viele junge Menschen, gar schon Neugeborene können eine Hörstörung aufweisen. Jeder sollte den Mut haben, offen damit umzugehen, und keine Angst zu zeigen. Für jeden kann das Individuelle gefunden werden. Meine Blechohren gehören zu mir genauso, wie ein anderer eine Brille benötigt.

Wir danken Sabrina für ihre Offenheit und diese tiefen, aber ermutigenden Einblicke in den Umgang mit ihrer Hörschädigung. Sabrina leitet zudem das CI-Netzwerk im Landkreis Offenbach „Hör mal her“ und kann ihre Erfahrungen gut weiter geben. Die Betroffenen schätzen ihre Arbeit sehr. Etwa vier bis sechs Mal im Jahr treffen sich die Mitglieder*innen zu einem gemütlichen Erfahrungsaustausch.

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