post-title Blinde auf Reisen, was wollen die denn hier? – von Silvia Schäfer

Blinde auf Reisen, was wollen die denn hier? – von Silvia Schäfer

Blinde auf Reisen, was wollen die denn hier? – von Silvia Schäfer

Ganz klare und kurze Antwort: Blinde gehen aus den gleichen Gründen wie Sehende auf Reisen. Sie wollen andere Kulturen, fremde, vielleicht exotische Länder kennenlernen und vor allem etwas erleben, was der Alltag nicht hergibt.

Damit wäre mein Beitrag schon zu Ende, wenn ich da nicht viele große Fragezeichen in Ihren Augen sehen würde.

Ich höre förmlich: „Was haben Blinde denn davon? Die sehen das doch alles nicht!“

Stimmt, sehen können wir nicht. Aber wir haben noch vier andere Sinne, mit denen wir die Umgebung wahrnehmen. Der optische Sinn ist zwar nützlich, aber mit Hören, Riechen, Fühlen und Schmecken kann man auch tolle Erlebnisse haben.

Ich liebe es zum Beispiel über einen Markt in Myanmar oder Vietnam zu schlendern und die köstlichen Düfte der Gewürze und Früchte zu schnuppern, unbekanntes Gemüse oder Obst anzufassen und kosten zu dürfen oder auch mal die Nase zu rümpfen, wenn am Fischstand der „Catch of the day“ angeboten wird.

Welch erhabenes Gefühl, auf einem Elefanten zu reiten und das ganz ohne aufgesetzten Sitz, sondern mit direktem Körperkontakt! Auch ein Kamelritt durch die Wüste von Radjastan direkt in den Sonnenuntergang ist doch wahnsinnig aufregend, oder? Safari in Tansania, Gewürzfarmen auf Sansibar, Pyramiden von Gizeh und das „Tal der Könige“ haben mich schon immer gereizt.

Ich genieße es, mit zwei Freunden, von denen einer ebenfalls blind und der andere sehend ist, auf einem Hausboot durch die „Backwaters“ in Kerala/Südindien zu schippern.

Klar, ist es wichtig, dass man jemanden dabei hat, der einem alles beschreibt, was sich so rundum abspielt. Gerade auf einem Boot kann es schnell langweilig werden. Aber wenn meine Freundin erzählt, dass wir gerade an Reisfeldern vorbeifahren auf denen wir die Arbeiter sehen oder ein Boot mit einer riesigen Gruppe von Schulkindern in Uniformen auf dem Weg nach Hause unseren Weg kreuzt, an einer Stelle am Ufer eine Frau das Geschirr im Kanal spült, gleich neben einer anderen, die eine Gans rupft und – ach, du liebe Zeit – da wird auch noch ein Baby gebadet! Das kann ich mir dann alles gut vorstellen und es ist für mich wie selbst sehen.

Natürlich wollen wir auch Sehenswürdigkeiten wie Pagoden in Myanmar, Höhlen mit Buddha-Figuren, Tempel aller Art, Forts und Hawelis in Radjastan und natürlich auch das Taj Mahal erleben. Dazu buchen wir uns dann jeweils einen ortsansässigen Führer, der uns zu all den wichtigen Sehenswürdigkeiten führt und uns alles Wissenswerte über die Geschichte und die Menschen erzählt. Auch hierbei gibt es immer jede Menge zum Anfassen und (Be)-Greifen, so dass man auch ohne zu sehen, das Wesentliche mitbekommt.

Es hat mal jemand gesagt: „Es ist wesentlich interessanter, blind auf einem Kamel durch die Wüste zu reiten, als blind zuhause auf dem Sofa zu sitzen.“ Dem kann ich mich nur anschließen und jeden motivieren, es doch einmal auszuprobieren.

Wer als Blinder oder Sehbehinderter nicht das Glück hat, solche Reisen mit Freunden oder Partner zu erleben, kann sich an spezielle Reiseunternehmen wenden, die sich auf die Bedürfnisse von Blinden eingestellt haben und tolle Angebote zu Fernreisen, Wander- oder Kultur-Urlaub im Programm haben. Hierbei werden individuell Begleitpersonen zur Verfügung gestellt, die man allerdings zusätzlich zahlen muss.

Hat der Blinde oder Sehbehinderte Fernweh, so ist ihm das aber sicherlich das Geld wert.

Silvia Schäfer, April 2017

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Als blinde Frau kann ich nur immer wieder sagen, dass sehen überbewertet wird. Er ist zum Glück nicht der einzige Sinn, den wir Menschen haben.

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